Nein, nicht in New York(*) sondern in einem kleinen Dorf in der Nähe Oldenburgs. Es ist wieder einmal die Rede vom Arztdienst. Nach Im Feld
und Im Haus und einigen Diensten "Im Haus" wurde mir klar, warum ich Dienste in der Chirurgie weniger anstrengend finde als in der
Psychiatrie. In der Akut-Psychiatrie ist es ein physischer, geistiger und emotionaler Marathon.
Marathon soll in diesem Zusammenhang bedeuten, dass die Arbeit oftmals über Stunden hinweg non-stop oder nur mit kurzen Pausen erfolgt. Das kann sich bei 18-Stunden-Bereitschaftsdiensten auch mal
von 14 Uhr bis weit nach Mitternacht hinziehen. Und dann liegen Sie im Bett, sind gerade eingedöst und es kommt der nächste Anruf. Und der nächste, und der nächste, und irgendwann klingelt der
Wecker: aufstehen, Übergabe.
Warum empfinde ich das in der Chirurgie leichter? Ganz einfach: Sie haben die Möglichkeit stundenlang zu operieren. Mit anderen dabei natürlich auch über den Fall zu sprechen, weitaus die meiste
Zeit vergeht mit Schweigen, unterbrochen von Ansagen zu den Instrumenten oder Schritten der Operation, oder hier und da mit Plaudern. Pläne für Urlaube. Wie es den Kindern geht. Und so
weiter.
In der Psychiatrie bedeutet Arbeit im Dienst stets sehr persönliche Arbeit mit Menschen, ihren Erkrankungen, ihren Geschichten und unseren Möglichkeiten, ihnen zu helfen. Im Team mit Pflege,
Empfang, Sicherheitsmann, Richtern, Betreuern, Kolleginnen, RTW-Teams, Polizei, Leitstellen und vielen mehr. Und es ist stets neben der körperlichen und geistigen Arbeit auch
emotionale.
Jede Ärztin und jeder Arzt muss lernen, auf sich selbst zu achten. Dazu gehört auch, Nein zu sagen (13 Juli 2022 Focus). Oder "in einer halben Stunde". Focus auf eine Pause. Bildschirm dunkel, etwas essen, Beine hoch, Löcher in die Luft gucken. Schon
fünfzehn Minuten sind hilfreich. Eine halbe Stunde ist natürlich besser. Und am schönsten auf einer Station mit Pflegenden, die ebenfalls Zeit für einen Kaffee haben.
Was passiert eigentlich, wenn eine Ärztin oder ein Arzt ausfällt?
In dem Haus, in dem ich arbeite, gibt es zwei ManagerInnen für die Organisation der Dienste, also für die Erstellung der Pläne und das Finden von Ersatz. Manchmal sogar am selben Morgen. Stellen
Sie sich vor, Sie müssten um 14 Uhr Ihren Dienst antreten und beim morgentlichen Zähneputzen ziehen Sie sich einen Hexenschuss zu, weil Sie sich unter den Wasserhahn gebeugt haben und nicht ein
Glas benutzt haben. Ein Kollege in der Kinderchirurgie hat das vor Jahren mal geschafft. Beim Ausfall-Management kann es auch zu kuriosen Verwechslungen kommen. Unsere ManagerInnen beheben solche
Pannen mit Charme und Einfallsreichtum. Das entspannt.
Die Dienste machen mir große Freude, weiterhin. Was es auch braucht ist: Erholung vor und nach dem Dienst. Vor dem Dienst sich einstimmen, rechtzeitig Sachen packen, nochmal etwas essen und los.
Nach dem Dienst leckere Brötchen beim Lieblingsbäcker holen, wenn der Dienst um 08:15 endet. Lange heiß duschen. Und dann ruft das Sofa. Vielleicht ist das Wetter gut und es gibt genügend Kraft
für eine Fahrradtour.
Gut zu erkennen: ich muss keine Kinder in die Schule bringen oder vom Kindergarten abholen. Mein großer Respekt gilt den jungen Kolleginnen und Kollegen, die auch das bewältigen. Und noch
größerer Respekt gilt denjenigen, die im komplexen Feld Psychiatrie in einer für sie neuen Sprache und Kultur arbeiten. Danke.
Christa Weßel - Freitag, 01 November 2024
(*) New York
New York Road Runners. TCS New York City Marathon Course Preview. - https://www.youtube.com/watch?v=XAXYOhtxXFA&t=4s (accessed 01 Nov 2024)
New York Road Runners. TCS New York City Marathon. Marathon Day November 3rd, 2024. - https://www.nyrr.org/tcsnycmarathon (accessed 01 Nov 2024)
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