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Toechter

Christa Weßel (2015) Ausruhen

 

und Söhne, Nichten und Neffen und ihre Väter und Mütter, Tanten, Onkel, manchmal auch Großeltern und alles auch als Schwieger-. Es geht um die Menschen, die sich alter Menschen in ihrer Familie annehmen. Und es geht um Menschen, die in eine Pflegeeinrichtung gehen müssen, weil sie die Versorgung dort brauchen.

 

An dieser Stelle ein Hinweis: das Folgende beruht auf meinen Erfahrungen als Ärztin und als Beraterin & Coach und auch als Tochter betagter Eltern, die sich vor mehr als zehn Jahren auf ihre letzte Reise gemacht haben. Es gibt in weiten Bereichen meinen persönlichen Standpunkt wieder. Wenn Sie also in die Situation einer Tochter, eines Sohnes oder einer der anderen Szenarien kommen, ist es sicher angebracht, die Unterstützung und Beratung von Expertinnen(*) und auch Fachliteratur hinzuzuziehen.

In einem Gespräch gestern mit einer Tochter ging es um

 

Eine typische Situation

  • Witwer, Anfang 80, lebt allein im eigenen Haus.
  • Es besteht eine seit einigen Jahren zunehmende Demenz.
  • Ein ambulanter Pflegedienst kommt ins Haus, unter anderem zur Medikamentengabe. Sie kennen es vielleicht: die (Zusammen)Arbeit funktioniert nicht immer wie gewünscht.
  • Einsamkeit: die Tochter lebt einige hundert Kilometer entfernt und kann einmal im Monat den Vater besuchen. Die weiteren sozialen Kontakte sind vor allem der Pflegedienst.

Es eskaliert: Unwillen, "Aggressionen", Einweisung in eine psychiatrische Klinik. Ich schreibe Aggression in Anführungsstrichen, weil sich nicht immer nachvollziehen lässt, wer denn da eigentlich wie und wann und warum aggressiv war.

 

Was sie brauchen

Der Mann

Eine Einrichtung mit professioneller Pflege rund um die Uhr. Die Demenz ist so weit fortgeschritten, dass es für den Mann nicht gut ist, in der beschriebenen Form allein zu leben. MIt professionell ist in diesem Zusammenhang vor allem gemeint, dass das Pflegepersonal demenz-erfahren ist und die Personaldecke groß genug ist. Menschen brauchen Zeit. Demente Menschen brauchen noch mehr Zeit.

Er braucht auch Gesellschaft. Es ist immer wieder schön zu sehen, wie Bewohner einer Pflegeinrichtung mit einander klar kommen, wie sogar Feundschaften entstehen. Natürlich gibt es auch Konflikte. Auch demente Menschen können Konflikte bewältigen. Mit professioneller Unterstützung. Dies ist vor allem das Pflegepersonal.

Und er braucht eine angemessene Medikation. Eine zu ihm passende psychopharmakologische Einstellung, die auf Veränderungen, beispielsweise im Verlauf eines Infektes eingeht. Er braucht sicher keine totale Ruhigstellung im Tagesverlauf. Der Schlaf ist für die Nacht vorgesehen.

 

Die Tochter

(und alle anderen, die sich alter Menschen in ihrer Familie annehmen)
braucht

  • den Vater in einer Pflegeeinrichtung in ihrer Nähe, dort wo sie und ihre eigene Familie leben;
  • Unterstützung beim Finden einer guten Pflegeeinrichtung, die qualifiziert ist in der Versorgung demenz-erkrankter Menschen;
  • einen Finanzplan für ungefähr fünfzehn Jahre.

Eine gute Pflegeeinrichtung finden

Nicht aussagekräftig sind Ratings (Bewertungen) im Internet. Es ist oftmals unklar, wie diese Voten zustande kommen. Daher ist es wichtig, sich selbst ein Bild zu machen:

  • Hingehen.
  • Mit Direktion, Pflegenden und vielleicht ja sogar mit Bewohnerinnen sprechen.
  • Eindrücke sammeln: Umgangston, Respekt, Sauberkeit, gepflegtes Gebäude innen und außen, das Gelände drumherum, Wachheit und Stimmung der Bewohner, und vieles mehr. Sie finden bestimmt weitere Kriterien. Diese auf einer Liste - in der Tasche, nicht in der Hand - können beim Besuch hilfreich sein. Und hinterher eine Bewertung für Sie selbst vorzunehmen.
  • Im Gespräch mit der Direktion und im Internetauftritt Informationen sammeln zu: Zertifikate zur Qualifikation, zum Fortbildung der Mitarbeitenden, und zum Beispiel auch zur Mitgliedschaft in Fachverbänden und zur Kooperation mit anderen Einrichtungen, vom Krankenhaus, über Haus- und Fachärztinnen bis hin zu Physio-, Logo- und Ergotherapie und auch Podologie (Fußpflege) und vielem mehr.

Hilfreich sind auch die Erfahrungen der Angehörigen von Menschen, die bereits in dieser Einrichtung leben. Vielleicht treffen Sie ja jemandem auf dem Parkplatz an einem Besuchstag und Sie kommen miteinander ins Gespräch. (Eigentlich sollte jeder Tag ein Besuchstag sein.)

Pflege kostet. Es braucht also Geld. Die Tochter braucht

 

Einen Plan

Ein Finanzplan für den Mann

Wie lange wird der Vater noch leben?
Dies ist eine berechtigte Frage, damit Sie genug Ressourcen für ein Leben in Würde bereitstellen können. Wird er hundert Jahre alt werden? Weniger? Mehr? Ich gehe hier von fünfzehn Jahren aus. Dies ist auch bei dementen, gut versorgten Menschen möglich. Um einen stabilen Finanzplan aufzustellen, braucht es also

Eine versierte Beraterin.
Vielleicht haben Sie ja bereits jemanden in einer Bank oder Sparkasse. ("Meine" Bankfrau ist mir 1992 in einer Sparkasse in Berlin begegnet. Wir arbeiten immer noch zusammen.)

Fragen,
die bei der Erstellung eines Planes hilfreich sein können, sind beispielsweise

  • Wie hoch ist die Rente des Mannes?
  • Gibt es Ersparnisse?
  • Gibt es Immobilien?
  • Wer ist noch involviert? (Geschwister der Tochter, andere)

Die ersten sechs Monate in der Einrichtung sollten "stehen", also bezahlbar sein. Wichtig ist, sich nicht unter Zeitdruck zu setzen. Beispielsweise leidet der Umgang mit Immobilien, vielleicht auch ihr Verkauf, unter Zeitknappheit.

In komplexen Projekten - also Projekten, in den Unvorhersehbares geschehen kann und geschieht - lautet ein Motto: Wenn du denkst, du hast keine Zeit, nimm sie dir. Sprich: Schritt für Schritt. Eines nach dem anderen. Ruhe bewahren.

Um solche Projekte - auch ein auf fünfzehn Jahre angelegtes Unterfangen ist ein Projekt - bewältigen zu können, braucht es Ausdauer und Kraft.

 

Überblick für die Tochter

Was ist mit steuerlichen Erleichterungen?
Die Fahrten, Material, Beratungen, Zeit. Wie lässt sich das geltend machen? Dazu sollten zum Beispiel Steuerberater etwas wissen.

Was ist mit eigenen Rentenansprüchen?
Der Mann soll zwar in eine Pflegeeinrichtung gehen, jedoch ist das Management des Projektes auch zeitaufwändig. Vielleicht wissen Experten der Deutschen Rentenversicherung oder anderer Altersvorsorgeinstitutionen dazu mehr.

Und an Urlaub denken. Den eigenen.
Oft sind es die Familien-Managerinnen, also die Ehefrauen und Mütter, die diesen zusätzlichen Job machen. Sowieso schon auf ihrer Liste sind

  • Ehemann und Kinder (Ehe mit und ohne Zertifikat)
  • Haushalt
  • ein bezahlter Job

Und nun noch dazu der eigene Vater, die Mutter, Onkel, Tanten oder entsprechendes mit den Zusatz "Schwieger" davor. Sechzig-Stunden-Woche? Für diese Frauen oftmals Alltag. Leider!

Also gilt es zu verteilen.
Die gewaschene Wäsche einfach in den Zimmern. Und vielleicht finden sich ja Menschen in der eigenen Familie, die wissen wie eine Waschmaschine, ein Herd, ein Staubsauger und das Füllen eines Kühlschrankes und das Leeren eines Mülleimers funktionieren. In vielen Familien ist das so. Und spätestens jetzt, wenn "Opa" dazukommt, braucht es die Mitwirkung von allen.

 

Ihnen allen, den Menschen, die sich der Väter, Mütter und all den anderen annehmen und natürlich diesen selbst wünsche ich alles Gute, gutes Gelingen und Ausdauer, Kraft und Humor in diesen komplexen langen Unternehmungen. Im Projekt "Opa, Oma, Vater, Mutter, Tante, Onkel und all die Schwiegermenschen".

Christa Weßel - Samstag, 01 Juni 2024

 

p.s.: Im Gespräch gestern war es eine Tochter, die sich ihres Vaters annahm. Oftmals erlebe ich Teams: Geschwister, zum Teil gemeinsam mit der Ehefrau oder dem Ehemann des alten Menschen, um den es geht. Schön, zu erleben, wie Familien solche Unternehmungen gemeinsam bewältigen.

(*) wieder sind unabhängig von der verwendeten Form alle Geschlechter gemeint: w, m, d.

 

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