[es sind bereits zwei Überarbeitungen und Ergänzungen, vielleicht kommen weitere hinzu:
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Sonntag, 19 Mai 2024: neue Abschnitte: "Dass Geriatrie ..." bis "Mit Geduld, Entschlossenheit ..." / am Folgetag mit Überschriften]
- Montag, 20 Mai 2024: Überschriften eingefügt; neu die Abschnitte "Was ist das Ziel?" und "Normale Tage"]
"Und es macht weiterhin Freude?" - "Oh ja, ich habe das Gefühl, als ob ich nach Hause gekommen bin."
Psychiatrie
Psychiatrie ist ein geniales Gebiet. Die Menschen: Patienten(*), Pflegende, Ergo, Physio, Labor, Sozialdienst, Gärtnerinnen, Handwerker, viele in der IT und Verwaltung, und auch wir Ärzte und die Psychologinnen. Klasse. "Draußen": Haus- und andere Ärzte, Richterinnen. Und natürlich immer wieder die Familien, Eheleute, "Kinder" (weil sie bei unseren betagten Patienten selbst manchmal bereits Großeltern und zumindest Eltern sind). Und damit ist die Liste sicher noch nicht vollständig. Zum Beispiel Küchen- und Putz-Feen. Gute Geister, die auf uns achten: "Christa, deine Wasserflasche."
Psychiatrie für alte und junge Menschen
Geronto-Psychiatrie ist Psychiatrie mit Allgemein- und damit Familienmedizin. Für mich nicht erstaunlich, dass ich bei der Übergabe nach meinem ersten Dienst erst einmal die chirurgischen und
gynäkologischen Vorkommnisse berichtet habe. Oberarzt und Kolleginnen haben es mit Humor genommen. Genau den brauchen wir. Dazu gleich mehr.
Es soll Menschen geben, die "geronto" - altgriechisch γέρων gérōn, deutsch "der Greis" - also "alt" - diskriminierend finden. Sicher nicht. Denn dann ist auch Kinder- und Jugendpsychiatrie
diskriminierend. Alt ist kein Makel. Alt ist eine Lebensphase, und zwar für viele Menschen eine gute. Für diejenigen, für die es nicht so gut läuft, sind unter anderem wir da. Menschen, die in
der Gerontopsychiatrie mit ihnen und für sie arbeiten.
Dass Geriatrie und Gerontopsychiatrie, also die Innere Medizin und die Psychiatrie für alte Menschen, eigene Fachgebiete sind, hat in meinen Augen genauso viel Berechtigung wie die Medizin für Kinder- und Jugendliche. Dort gibt es sogar drei große Bereiche: Kinderheilkunde (Pädiatrie, die Innere Medizin für die kids), Kinderchirurgie (mein Lieblingsfach, das derzeit gerade von der Psychiatrie fast überholt wird) und Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Warum also Medizin für alte Menschen?
Mit zunehmendem Alter verändert sich unser Stoffwechsel. Bei dem einen geht es mit Mitte fünfzig los, die andere ist mit siebzig noch unterwegs wie eine Fünfzigjährige. Wie bei Kindern ist
insbesondere der Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt empfindlich. Weder ein Säugling noch eine Achtzigjährige können direkte Sonneneinstrahlung oder Hitze so gut verkraften wie Vierzigjährige.
Bei alten Menschen kommt außerdem hinzu, dass Leber, Nieren und auch das Herz-Kreislaufsystem in ihrer Fitness allmählich nachlassen.
Und da kommen dann Geriatrie und Gerontopsychiatrie ins Spiel. Es ist sowieso eine Kunst, für einen Menschen egal welchen Alters die richtigen Medikamente zu finden. Besonders, wenn dieser Mensch
mehrere körperliche Erkrankungen hat.
Und nun stellen Sie sich vor, es kommen psychiatrische Störungen hinzu. Dann wird das Ganze komplex, denn die meisten Psychopharmaka müssen bei eingeschränkter Leber- und/oder Nierenfunktion
anders dosiert werden. Auch einige mit Wirkungen auf das Herz gilt es behutsam zu dosieren. Spannend ist auch: Psychopharmaka können den Blutdruck senken.
Und dann kommt ein alter Mensch mit einer Hypertonie, einer Depression und einem akuten durch eine Infektion ausgelösten Delir (Verwirrtheitszustand) durch die Tür Ihrer Praxis oder Ihres
Krankenhauses. Gut, wenn es dann Fachleute - Geriatriker und Gerontopsychiatrikerinnen - gibt, die mit einer solchen Kombination von Erkrankungen und der erforderlichen Diagnostik umgehen
können und - vor allem - eine für diesen Patienten passende medikamentöse Therapie finden. Wie das funktioniert? Es gibt einen schönen Grundsatz in der Gerontospychiatrie: start low, go
slow.
Mit Geduld, Entschlossenheit, Empathie und Sachverstand der Ärztinnen und Psychologen und fach-spezifischer Krankenpflege. Gerontopsychiatrische Krankenschwestern und Krankenpfleger haben einen
entscheidenden Anteil an der Genesung alter, körperlich und psychisch kranker Menschen. Auch Physio-, Ergo- und Logotherapie und der Sozialdienst sind wichtige Bausteine.
Was ist das Ziel?
Eine Oberärztin brachte es kürzlich auf den Punkt: "Zunächst einmal ist wichtig, dass sie wieder schlafen können." Viele unserer Patienten sind nachtaktiv. Ab Mittag oder Nachmittag nimmt ihre
Unruhe zu und, auch wenn sie dann ein paar Stunden geschlafen haben, geht es sehr früh - bspw. um zwei oder drei Uhr morgens wieder los. Unruhe, Orientierungsstörungen, Halluzinationen,
Wahnvorstellungen. Eines, zwei oder drei dieser Dinge und vielleicht sogar alle vier. Angst ist auch ein wichtiger Faktor.
Was wollen wir in der Psychiatrie ihnen also verschaffen? Das Nachlassen von Angespanntheit, Ängsten, Desorientierung, Halluzinationen, Wahn und Unruhe. Es gibt auch andere Extreme: das Verharren
in Traurigkeit und Stille.
Die Patienten sollen wieder schlafen können, einen Tag-Nacht-Rhythmus entwickeln, Orientierung, Struktur und Aufgehobensein erleben. Ängste und Gedanken, sich das Leben zu nehmen, sollen
verschwinden. Ebenso Halluzinationen und Wahn. Die Stimmung soll besser werden. Traurigkeit soll vergehen. Antrieb und Energie sollen wieder mehr - und bei manchen auch weniger werden. Das sind
die Getriebenen unter den Patienten.
Sie sollen sich aufgehoben und angenommen fühlen. Sie sollen ihrem Möglichkeiten entsprechend körperliche, mentale, emotionale und soziale Herausforderungen erleben und bewältigen und genießen
können. Sich gebraucht fühlen. Für andere da sein. Es ist ein Genuss zu sehen, wie Menschen auf einer Station sich ihren Mitpatienten widmen. Im Gespräch, im Spiel oder auch im gemeinsamen Gang
über den Stationsflur oder im Stationsgarten.
Kurz: ein Leben in Würde führen können.
Normale Tage
Der Anlass der Frage einer Freundin und der Hinweis auf den Humor bei der Übergabe nach Dienst war / ist mein derzeitiges Arbeitspensum: zehn bis zwölf Stunden an "normalen" Tagen ohne
Dienst. Warum? Willkommen im Zeitalter des Ärztemangels. Es soll in dieser Woche besser werden, dann kommt ein Kollege aus dem Urlaub zurück und der andere hat in diesem Monat keinen Dienst
mehr und ist gesund.
Bei der Pflege sieht es ähnlich aus. Für die einzelne Person ist es vielleicht ein Glück, dass es Schichtdienst ist. Spätestens nach neun Stunden ist es in der Regel vorbei für diesen Tag.
Während ihrer Schicht ist es eine Herausforderung für alle, vor allem für die Patienten und die Pflegenden. Haben Sie schon mal zwanzig Patienten zu zweit versorgt?
Und: Ja, es macht weiterhin Freude in der Gerontopsychiatrie. Die Menschen dort machen es dazu. Mit Einsatz, Empathie und Humor. Derzeit möchte ich genau dort arbeiten. Ver-rückt, nicht
wahr?
Christa Weßel - Pfingst-Samstag, 18 Mai 2024,
ergänzt am 19 und 20 Mai 2024 [s.o.]
Hinweise
- (*) wieder sind unabhängig von der verwendeten Form alle Geschlechter gemeint: w, m, d.
- altgriechisch γέρων gérōn, deutsch ‚der Greis‘ und ψυχιατρική psychiatrike, deutsch ‚die Seelenheilkunde ; aus https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Gerontopsychiatrie&oldid=229264242 (besucht am 18 Mai 2024)
- https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kinder-_und_Jugendpsychiatrie_und_-psychotherapie&oldid=243948739 (besucht am 18 Mai 2024)
Als Einstieg in die Psychiatrie ist in meinen Augen "der Dörner" auch für Menschen geeignet, die nicht aus der Medizin/Pflege mit ihren vielen Bereichen kommen: "Irren ist menschlich". Diesen und weitere Quellen listet Resources for Psychiatry.
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