Schnupfenzeit

Warum Corona-Tests AHA-L nicht ersetzen können, wollen und sollen

Herbst: Schnupfenzeit. Es wird also schwieriger, Menschen mit COVID-19-Infektionen zu erkennen. Außerdem gibt es Menschen, die keine bis nur gering ausgeprägte Symptome zeigen (nies, hust). Da derzeit Tests im wahrsten Sinne des Wortes in fast aller Munde und Nasen sind, im Folgenden ein wenig über das Testen an sich und von COVID-19 und danach: warum, wozu und wie wer AHA-L-en sollte - "unbedingt!", wie mein geschätzter Oberarzt während meiner klinischen Ausbildung gerne sagte, wenn wir ihn fragten ob wir Maßnahme X einleiten wollten oder auch auf die Frage: "Möchten Sie einen Kaffee?"

 

 

[Ergänzung Mi, 28 Okt 2020: Start]

Testen: Warum und wozu?

Aus welchem Grund und Anlass (Warum?) und zu welchem Ziel und Zweck (Wozu?) sind Tests bei einer Infektionskrankheit erforderlich? 

 

Zum einen ist da die Situation einer Person: falls sie erkrankt ist, können Ärzte für diese Person je nach Art der Erkrankung medizinische Maßnahmen einleiten. 

 

Zum anderen besteht die Frage, ob diese Person andere anstecken und somit gefährden kann. Diese Frage bezieht sich also auf die Situation der Bevölkerung. Bei Ansteckungsgefahr und schwerer Erkrankung ist es erforderlich, die erkrankte Person zu isolieren, um andere zu schützen. Je nach Art der Übertragung unterscheiden sich die Isolationsmaßnahmen. Erfolgt bei einer Infektion die Übertragung durch Geschlechtsverkehr: Kondome und angemessene Praktiken. Bei einer Übertragung durch Niesen, Husten, lautes Sprechen, Singen, gilt es zu AHA-Len. 

 

Die meisten Infektionskrankheiten zeichnen sich dadurch aus, dass Menschen andere anstecken können, bevor sie selbst Symptome zeigen. Außerdem gibt es Fälle, in denen die Infizierten keine oder kaum Symptome zeigen und ansteckend sind. 

 

Tests können bis zu einer gewissen Zuverlässigkeit - dazu gleich mehr - zeigen, ob eine Person infiziert ist und andere anstecken kann.

 

Therapie: Ursache und/oder Symptome

Bei der Behandlung kranker Menschen (und anderer Lebewesen) unterscheiden wir zwischen Behebung (Therapie) der Ursache und Behandlung der Symptome. 

 

Die Behebung der Ursache ist bei zahlreichen bakteriellen und einigen viralen Infektionskrankheiten möglich. Eine Behandlung der Symptome zielt auf ihre Linderung ab. 

 

Beispiel: Bei einer Bronchitis, die durch Bakterien verursacht wird, können Antibiotika die Ursache ausräumen (es müssen natürlich die richtigen sein).  Bei einer solchen Bronchitis können Sie außerdem Schmerzmittel und Schleim lösende Mittel zur Linderung der Symptome einsetzen. Bei viralen Infektionen gibt es entweder passive Impfstoffe (Antikörper gegen das Virus) oder Virostatika plus - natürlich - die Linderung der Symptome und die Behandlung von Zweitinfektionen. Beispielsweise können Menschen mit einer viralen Infektion der Luftwege eine bakterielle Lungenentzündung bekommen. Hier kommen dann Antibiotika zum Einsatz.

 

Die beste Therapie einer viralen Infektion ist, sie erst gar nicht entstehen zu lassen. Dies ist eine Primär-Prävention. Das zuverlässigste Mittel ist eine Impfung. Steht kein Impfstoff zu Verfügung, müssen andere Präventionsmaßnahmen zum Zuge kommen.

 

An dieser Stelle ein kleiner Ausflug in den Begriff "Prävention". (Sie können auch zur nächsten Überschrift springen ;o)

 

Prävention: Krankheiten verhindern

praevenire, lateinisch: zuvorkommen, verhindern. Die Verhinderung von Krankheiten kann durch den Einzelnen erfolgen: Verhaltens-Prävention; und auf bevölkerungsbezogener Ebene: Verhältnis-Prävention.

 

Es gibt drei Stufen. 

  • Primärprävention: Sie verhindern, dass ein Mensch (oder anderes Lebewesen) diese Erkrankung überhaupt erleidet.
  • Sekundärprävention: der Mensch (oder andere Lebewesen) ist erkrankt und erhält eine Behandlung.
  • Tertiärprävention: Sie reduzieren die Wahrscheinlichkeit, dass eine Erkrankung wieder auftritt.

 

Verhaltensprävention - Beispiel: Herzinfarkt

  • Primärprävention: Lebensweise (psychische, physische und soziale Balance)
  • Sekundärprävention: Stent, Medikamente, …
  • Tertiärprävention: Rehabilitation, Lebensweise, ggf. Medikamente

 

Verhältnisprävention - Beispiel: Herz-Kreislauf-Erkrankungen

  • Primärprävention: Schaffung menschenwürdiger Lebensverhältnisse. Dazu gehört auch Bildung.
  • Sekundärprävention: Schaffung von Einrichtungen im Gesundheitswesen zur Versorgung der Erkrankten.
  • Tertiärprävention: siehe Primärprävention.

Die virale Infektion Corona: Prävention

Corona, die Krone, nennen wir das Virus, das die COVID-19-Pandemie verursacht. COVID-19 steht für Coronavirus Disease 2019. Der Erreger ist das SARSCoV-2: severe acute respiratory syndrome Coronavirus 2.

 

Die Erkrankung hat unterschiedliche Verläufe, von keinen oder milden Schnupfensymptomen bis hin zu schweren Erkrankungen, die eine intensivmedizinische Behandlung erfordern. Eine COVID-19-Infektion kann tödlich verlaufen. Für eine Vertiefung der medizinischen Hintergründe empfehle ich als Einstieg die Beiträge des Robert Koch Instituts (https://rki.de) und der englischen und deutschen Wikipedia. In all diesen finden Sie Verweise zur weiterführenden Literatur.

 

Es gibt noch keinen Impfstoff. Daher müssen wir andere Präventionsmaßnahmen ergreifen.

 

Individuell

Dies ist die Verantwortung der/des Einzelnen:

  • AHA-Len und bei einer Infektion in Quarantäne gehen.

Bevölkerungsbezogen

Dies ist die Verantwortung von Entscheidern in Politik, Behörden, Unternehmen, Institutionen des Gesundheitswesen, der Bildung und vielen mehr: 

  • das öffentliche Leben und Arbeitswelten so gestalten, dass die Menschen ihren individuellen Beitrag leisten können.
  • Testen: Bereitstellung von Ressourcen zur Testung möglicherweise erkrankter Personen.
  • Nachverfolgung und Unterbrechung von Infektionsketten.

Tests sind also ein Teil der Präventionsmaßnahmen, und zwar der ersten und der dritten Stufe. Primärprävention: Wenn Sie einen Erkrankten identifizieren und dieser sich in Quarantäne begibt, verhindern Sie die Infektion weiterer Personen. Für diese ist es eine Primärprävention. Bevölkerungsbezogen trägt Testen zur Tertiärprävention bei: Sie verringern die Wahrscheinlichkeit einer neuen Infektionswelle.

 

Allerdings ist es wichtig, Tests angemessen einzusetzen. Dazu ist es von Belang, ihre Aussagekraft zu kennen.

[Ergänzung Mi, 28 Okt 2020: Ende]

 

Testen: Wie und wie zuverlässig?

Die Qualität einer Untersuchung, eines Tests beruht auf zwei Merkmalen:

 

Sensitivität / sensitiv

Erreger ist im Untersuchungsmaterial einer infizierten Person vorhanden und wird tatsächlich nachgewiesen = das Testergebnis ist korrekt positiv.

Anders ausgedrückt: Je höher der Grad der Sensitivität eines Tests, desto besser weist er korrekt positiv nach, dass Erreger im Körper dieser Person vorhanden sind ("kranke" Person).

 

Spezifizität / spezifisch

Erreger ist im Untersuchungsmaterial von einer nicht-infizierten Person nicht vorhanden und wird tatsächlich nicht nachgewiesen = das Testergebnis ist korrekt negativ. 

Anders ausgedrückt: Je höher die Spezifität eines Tests, desto besser zeigt der Test, welche Person nicht infiziert ("gesund") ist.

 

Perfekt wäre ein Test der in beiden Kriterien 100 Prozent erreicht. Das gibt es fast nicht. Also liegt es nahe, im Zweifel falsch positive Tests in Kauf zu nehmen. Trotzdem gibt es auch bei noch so guten Tests stets auch falsch negative. Die Zahl der falsch negativen, also tatsächlich infizierten Personen, die nicht durch die Tests identifiziert werden, steigt absolut mit der Zahl der durchgeführten Tests.

 

Und damit die Zahl der Personen, die sich "sicher" fühlen.

 

Es gibt zahlreiche Tests für COVID-19. Je nach einer der vielen Publikationen schwanken die Angaben für die Sensitivität der Tests um 95 Prozent und für die Spezifität um 98 Prozent. Zum Teil auch deutlich geringer, denn es kommt noch etwas hinzu.

 

Es hängt auch von der Qualität der Probenentnahme und des Probentransportes sowie des Ortes der Probenentnahme (Nase oder Rachenraum oder Bronchien) und dem Zeitpunkt im Verlauf einer Infektion ab, ob tatsächlich Erreger "gefangen" werden und bis zur Untersuchung "überleben", oder die Teile des Erregers, um die es geht. Wenn Sie genauer einstiegen möchten: Das RKI und auch die englische Wikipedia bieten gute Einstiege in die wissenschaftliche Literatur.

 

Corona-Test

Derzeit sind zwei Testarten verbreitet.

 

Point-of-Care (PoC)-Antigen-Tests

Vorteil: Ergebnis unmittelbar nach einer halben Stunde vor Ort.

Nachteil: geringere Sensitivität (korrektes Erkennen der Kranken) und vor allem geringere Spezifität (korrektes Erkennen der Gesunden).

 

PCR-Test (Polymerase Chain Reaction - Test)

Vorteil: höhere Sensitivität und höhere Spezifität. Allerdings nicht zu hundert Prozent. 

Nachteil: Untersuchung des Testmaterials im Labor. Das Ergebnis dauert - und geht manchmal ganz auf Kommunikationswegen verloren (dies ist einer mir bekannten Lehrkraft mehrfach in den vergangenen Wochen passiert: sie hat keine Untersuchungsergebnisse erhalten. Keine Neuigkeiten = gute Neuigkeiten?)

 

Darum ist es wichtig, die richtigen Menschen auf eine angemessene Art zu testen. Nicht kreuz und quer, sondern mit Sinn und Verstand. Das RKI hat dazu das Epidemiologische Bulletin 43_20 am 22.10.2020 veröffentlicht.

 

Auf Seite 4 heißt es 

"Insbesondere mit Blick auf die auch geringere Spezifität von Antigen-Tests im Vergleich zur PCR-Testung wird empfohlen, vor dem Einsatz von Antigen-Tests zur Testung asymptomatischer Personen die epidemiologische Lage vor Ort zu berücksichtigen."

Im Klartext: nur dort, wo höhere Infektionsraten bestehen oder drohen, testen.

 

Und weiter, ebenfalls auf Seite 4  

"In jedem Fall muss einem positiven Antigen-Test [PoC] regelhaft eine Untersuchung mittels PCR folgen.

Weil der positive PoC-Test auch auf andere Viren(bestandteile) reagiert haben kann. Der Test ist also falsch positiv.

 

Weiter, ebenfalls auf Seite 4  

"Bei weiterhin bestehendem, begründetem Krankheitsverdacht sollte auch ein negatives Antigen-Testergebnis mittels PCR-Test überprüft werden.

Denn: dann war der PoC falsch negativ.

 

Alles klar?

 

Zusammengefasst: die PoC Tests sind eine zusätzliche Möglichkeit, die keinesfalls letztlich PCR Tests ersetzen und vor allem gilt: Tests können andere Verhältnis-Präventionsmaßnahmen und vor allem  Verhaltens-Präventionsmaßnahmen _nicht_ ersetzen.

 

Die Gefahr einer Testeritis

(auf -itis enden die lateinischen Begriffe von Infektionen, beispielsweise Appendicitis für die Entzündung des Wurmfortsatzes, umgangssprachlich Blinddarmentzündung; oder Rhinitis für einen Schnupfen und Sinusitis für eine Nasennebenhöhlenentzündung; oder Bronchitis - das wissen Sie jetzt).

 

Die Gefahr bei breiter unkritischer Anwendung von Tests ist, dass Menschen sich in falsche Sicherheit wiegen und fröhlich weiter in Pulks clustern - sprich die AHA-L Regeln vernachlässigen.

 

Falsch negativer Test: Sie sind infiziert und Sie können andere mit COVID-19 anstecken.

 

Es geht auch so: Sie waren vor drei Tagen (23.10.) tatsächlich COVID-19 negativ, aber: vor zwei Tagen (24.10.) sind Sie Bus gefahren oder haben eingekauft, begegneten dem "hust-hust" eines anderen Menschen, in zwei Tagen (28.10.) haben Sie die ersten Symptome und heute (26.10.) stecken Sie den ersten anderen an.

 

Sprich: Tests messen. Andere Verhältnis-Präventionsmaßnahmen und vor allem  Verhaltens-Präventionsmaßnahmen _verringern_ Infektionsraten und verhindern Erkrankungen (siehe oben, Abschnitt Prävention).

 

Unersetzlich: Prävention = vorbeugen

Darum wünsche ich uns allen Ausdauer beim Abstand halten und den anderen AHA-Ls, Humor, wohlriechende Seifen, lustige Masken und viel frische Luft.

 

Ein weiterer wichtiger Teil wirksamer Vorbeugung ist

 

ebenso unersetzlich: klare Kommunikation

Wir brauchen eine einheitliche, klare, gelassene (doch, ja) Kommunikation bundesweit in Deutschland über Kommunen-, Länder- und kurzfristige politische und ökonomische Überlegungsgrenzen hinweg. Dann werden wie bisher die meisten Menschen AHA-Len. Die Bereitschaft dazu ist hoch.

 

Diese Kommunikation ist Aufgabe der verantwortlichen Politiker, Menschen in den Behörden (klares Deutsch), Wissenschaftler, Medienmenschen (Journalisten, Blogger und Co) und jedes Einzelnen (w/m/d), der sich Hirn und Herz auch in Zeiten einer Pandemie bewahren kann. Wirken Sie auf andere ein: Schlicht ist schön. Immer wieder besinnen auf die letztlich einfachen Maßnahmen und uns bewusst machen, über welche Art und Schwere einer Infektionskrankheit wir eigentlich reden und mit der wir noch etliche Monate, vielleicht auch Jahre umgehen müssen.

 

Dass dies funktioniert, erlebe ich persönlich derzeit und schon seit Monaten mit den Niederlanden (links siehe unten). 

 

Christa Weßel - Montag, 26 Okt 2020 & Mittwoch, 28 Okt 2020

 

Lesestoff

In Ergänzung zu den in Schulen, Klimaanlagen und andere Impressionen (14 Okt 2020), Frischer Wind (blog 10 Okt 2020), Abstand (blog 23 Sep 2020), Namaste (blog 20 Mar 2020) und in der Fair Play Reihe genannten Links hier einige weitere Seiten zum Thema COVID-19-Pandemie:

Blogrubrik together

 

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