Abstand

newsletter Herbst 2020

Die COVID-19-Pandemie geht in die vierte Jahreszeit. Sie begann im vergangenen Winter und nun kommt der Herbst. Die Anstiege der Infektionsraten waren zu erwarten - schon vor dem Herbst, weil die Urlauber zurückkehren. corona ist keine Krise, die nach ein paar Monaten bewältigt ist. corona wird dauern. Dies schrieb ich auch einem Kollegen, der Professor an einer Hochschule ist. (Die mit * markierten Worte erläutere ich am Ende dieses Newsletters.)

Lieber X,

es freut mich, dass Du eine gute Zeit im Y-wald verbringen konntest.

Die Situation an den Hochschulen und somit auch bei Euch wird sich nicht so schnell ändern, denn als Ärztin und Gesundheitswissenschaftlerin nehme ich an, dass corona Jahre dauern kann. Diese Pandemie ist keine Krise, sondern führt zu einer dauerhaften Veränderung unserer Lebensstile und Gewohnheiten.

Je eher uns dies klar wird, desto besser. Ich habe natürlich hier in Fryslan gut Reden. Eines kann ich sicher sagen: die Unvernünftigen sind die Urlauber, die feiern und sich im öffentlichen Raum und in Geschäften im engsten Pulk bewegen. Dabei ist es so einfach! Die Friesen können es: Abstand und Hygiene. Da passt der uralte Spruch auf Transparenten an deutschen Autobahnen: Sie fahren mit Abstand am besten.

Dies ist natürlich an Hochschulen schwierig. Lernen funktioniert blended [*] eben doch am besten. Nichts geht über das gemeinsame Arbeiten und Spaß haben in _einem_ Raum.

Darum kann ich auch die Studierenden und anderen jungen Erwachsenen verstehen, die in den letzten Wochen corona haben corona sein lassen und fast noch mehr als zuvor "engen Kontakt" gepflegt haben. Der Mensch möchte eben besonders gerne das, was ihm versagt ist: the gras on the other side of the fence is always greener.

Trotzdem, es ist dringend an der Zeit, dass die Menschen, die eigentlich genug Grips haben, um corona zu verstehen, die neue Lebensart verinnerlichen und sich entsprechend verhalten. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, paradigm shift. Hier nicht in Bezug auf eine Wissenschaft, sondern in unser Lebensart: eine grundlegende Veränderung vorherrschender Basiskonzepte und Erfahrungen.

Die Feierlaune von Urlaubern ist Kleinkram verglichen mit der Situation von Kindern aus armen Familien, die mangels Computer und Internetanschluss vom Unterricht zuhause (home schooling) abgehängt werden, von Alten, deren Kontakte noch weniger werden, von Künstlern und anderen Freiberuflern, die irgendwie sehen müssen, wo die Brötchen herkommen. Ganz zu schweigen von den Nöten der Menschen in anderen Kontinenten (Nord- und Südamerkia, Afrika, Teile Asiens).

Außerdem leben Künstler nicht vom Brot allein. Ein Musiker, der nicht musizieren kann, eine Tänzerin, die nicht tanzen kann, ein Schauspieler, der nicht agieren kann - alle brauchen den Austausch unmittelbar mit dem Publikum. Digital reicht nicht. Und es ist auch kein Hit, vor zwanzig statt zweihundert Menschen aufzutreten. Leere Reihen sind mehr als unangenehm für die, die auf der Bühne sind.

Autoren, Schriftstellern, Malern und anderen bildenden Künstlern mag es einigermaßen gutgehen, falls sie genügend finanzielle Reserven haben, um ein oder zwei Jahre zu schreiben, malen, komponieren, bildhauern, und es durchhalten, sich deutlich weniger als sonst mit den Menschen auszutauschen, für die sie diese Dinge erschaffen. Ohne Feedback und kreativen Austausch ist auch ein Autor irgendwann leer.

Für den biber [**] habe ich drei Menschen gefunden, mit denen der digitale Austausch und das Gespräch am Telefon wunderbar funktionieren. Sehr inspirierend. Es ist noch viel am Manuskript zu tun (noch ist es ja kein Buch). Trotzdem: ich freue mich darauf [***], wenn ich wieder mit Lesern in Runden sitze, mit Studierenden Seminare mache und mit Klienten in ihren Unternehmen unterwegs bin. Der Winter kann also kommen. Schöne Tücher und Masken sind reichlich vorhanden.

Ich wünsche Dir und Deinen Lieben und uns allen, vor allem den Menschen, die tatsächlich unter den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie leiden, alles Gute.

Christa - Mittwoch, 23 September 2020

[*] blended learning:

Blended heißt auf Englisch gemischt. […] Die Lernenden und Lehrenden nutzen drei Aspekte: Präsenzunterricht, Selbststudium und die Nutzung einer e-Learning-Plattform. e-Learning umfasst Repositories, Communities, e-Portfolios, Expertenprofile, (Zugang zu) Bibliotheken, Planung und Management von Lernveranstaltungen, Unterstützung von Monitoring und Evaluation. (andere arbeiten lassen; 2019; S. 40)

[**] biber:

Spitzname für das Buch, an dem ich derzeit arbeite.

[***] tosaam.de

Dort gibt es mehr über Organisationsentwicklung und Seminare.

Nützliche Links

addendum 29 Sep 2020

In Ergänzung zu den in Namaste (blog 20 Mar 2020) und in der Fair Play Reihe genannten Links hier eine weitere Reihe von Seiten zum Thema COVID-19-Pandemie:

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