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Trockenheit und Pandemie

Werden wir das goldene Kalb "Wachstum" von seinem Sockel holen?

Gespräch mit einem Kollegen über die Muße in der corona-Stille: nun ausführlich nicht einfach nur rasch im Netz recherchierte Artikel zu lesen, sondern sich ausführlich mit Fachbüchern beschäftigen zu können. Die Möglichkeit, wieder in Bibliotheken zu gehen und dort Werke auszuleihen, die das Monatsbudget eines Freiberuflers im Lock-down übersteigen. Über Geschichte, Wissenschaftsgeschichte und über den Wunsch zu verstehen, wie unsere Gesellschaft geworden ist, wie sie ist. Und darüber, was kommen wird in den nächsten Monaten, Jahren und Jahrzehnten.


Es ist bereits jetzt wieder - eher: weiterhin - trocken. Seit zwei Jahren Dürre in Mitteleuropa. Der Boden ab einigen Dezimetern Tiefe trocken. Moor- und Waldbrände im April. Tagelang Wind aus Nordost, hier an der Küste mit fünf bis sechs Beaufort (29 bis 49 km/h). Zusätzliches Austrocknen. Natürlich, die Sonne, der blaue Himmel, das ist schön. Trügerisch schön.


Und nun die Pandemie. China, Australien, Europa, Russland (wegen der Weite) werden klarkommen. Die USA? Katastrophal. Ihr letztlich nicht-existentes Sozialsystem wird sie auch dank ihres radikal-neoliberalen, wirtschaftshörigen Präsidenten in die Öffnung von Geschäften und "business [sic!] as usual" treiben.

 

Der vergessene Kontinent

Und Afrika? Der vergessene, der verlorene Kontinent? Für die "erste" Welt, China, Europa und die USA, vor allem von Interesse als Absatzmarkt und Bodenschatzkammer. Ob dort ein paar Millionen Menschen sterben, wen interessiert das wirklich? Ob dort Impfprogramme gestoppt werden und zig Millionen Menschen in Westafrika von einer Hungersnot bedroht sind? So what?


So: what!


Bereits in den 1970er Jahren meldeten sich Wissenschaftler, Journalisten und Politiker zu Wort und warnten vor den Auswirkungen unseres auf Wachstum und Konsum aufbauenden Wirtschaftssystems. Profit vor People und Planet (blog 19 Nov 2011). Die Warnungen schlossen auch die Möglichkeit von Kriegen um Wasser ein. Die Kriege ändern sich. Nicht mehr zieht Land A gegen Land B in die Schlacht. Es gibt bereits seit Jahren Völkerwanderungen. Die Menschen fliehen vor Terror und: Hunger und Durst. Es wird Zäune geben, wie zwischen Ost- und Westdeutschland im 20. Jahrhundert. Wie zwischen den USA und Mexiko. 

 

Oder nicht?

Es gibt Gebiete, die durch die Veränderung des Klimas zu besiedelbaren Landstrichen werden. Im Norden der Nordhalbkugel und in Süden Lateinamerikas.


Wir haben zig Szenarien zur Klimaveränderung entwickelt. An Pandemien haben vor allem Experten gedacht. Gesundheitswissenschaftler und Logistikexperten, zum Beispiel in international tätigen Fluggesellschaften. Dort gibt es im Risikomanagement Pläne zur primären, sekundären und tertiären Prävention. Primär: das Auftreten eines Schadensfalls überhaupt verhindern; sekundär: das Ausmaß des Schadens minimieren; tertiär: das Auftreten weiterer Schadensfälle verhindern.


Natürlich ist es sinnvoll, zunächst im eigenen Bereich aktiv zu werden. Persönlich, Familie, Gemeinde, Staat. Und wir müssen darüber nachdenken, wie wir aus dem Wachstumswahn herauskommen können, und: handeln. Es gibt Beispiele, wie es funktionieren kann.

Buen vivir

oder auch  sumaq kawsay (südliches Quechua) ist Kern der Weltanschauung indigener Völker in Lateinamerika. Es geht um Balance, um materielle, soziale und spirituelle Zufriedenheit und - in meinen Augen - um Demut. So viel nehmen wie ich brauche, ressourcenschonend, und genauso viel zurückgeben. Bekannt wurde diese Haltung vor allem durch Alberto Acosta, der maßgeblich daran beteiligt war, das Buen vivir in der ecuadorianischen Verfassung zu verankern.


Im März 2016 habe ich Buen vivir beschrieben (blog 16 Mar 2016). Dort und in den unten genannten Quellen gibt es mehr dazu.

 

Lasst uns das goldene Kalb vom Sockel holen

  • Persönlich, beispielweise durch reduce-reuse-recycle. (blog 16 Mar 2019)
  • Unternehmen, beispielsweise durch nachhaltiges Wirtschaften und die Reduktion exorbitanter Gehälter vor allem für Führungsmenschen, die letztlich der Käufer und die Umwelt bezahlen müssen. (blog 16 Mar 2019)
  • Gesellschaftlich, beispielsweise durch die Wertschätzung und Honorierung (auch in Euro!) von Dienstleistungen wie Kultur (Musik, Kunst, Theater), Bildung (Lehre) und Pflege. (blog 16 Mai 2012)
  • Staatlich, beispielsweise durch Investitionen in Infrastruktur zur Verwirklichung menschlicher Grundrechte, wie sie Acosta 2019 beschrieben hat (blog 16 Mar 2016):
"... das gleiche Recht auf ein würdevolles Leben, das Gesundheit, Nahrung, Trinkwasser, Unterkunft, eine gesunde Umwelt, Bildung, Arbeit, Erholung und Freizeit, Sport, Kleidung, soziale Sicherheit und andere notwendige soziale Dienstleistungen beinhaltet." [Acosta 2009, S. 219]
Menschen erzählen auch im Radio, TV und im Netz, was ihnen durch die Pandemie und den lock down geschenkt wurde. Muße, Innehalten, Aufmerksamkeit für andere und Umwelt, Kreativität. Ich schließe mich der oftmals geäußerten Hoffnung an: möge dies auch nach corona der Fall sein. Lasst uns lernen und handeln.

Christa Weßel - Mittwoch, 22 Ap 2020

 

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