Workshop 2 Sozioinformatik
In den letzten zwei Tagen setzten die Studierenden und ich unsere Reise in die Sozioinformatik fort. Um zu wissen, wohin es gehen könnte, macht es Sinn, zu wissen woher wir kommen.
Wurzeln
Also widmeten wir uns am Donnerstag zunächst der Geschichte der Informatik. Die ersten Wuzeln reichen einige Jahrtausende zurück. Ein Standbein, wenn nicht das Standbein ist die Mathematik. Eine Wissenschaft und Sprache, die nicht nur Menschen weltweit verstehen, sondern von der wir annehmen, dass auch Lebewesen außerhalb unserer Galaxis sie verstehen. Außerdem natürlich das "Bauen" an sich. Kein Rechner ohne Maschine. Sehr allgemein formuliert. Eine gute Übersicht zu den Grunddisziplinen der Informatik bieten neben den Standardwerken der Informatik der deutsche und der englische Eintrag von Wikipedia [1,2] - Theoretische Informatik, auf ihr aufbauen die Technische und die Praktische Informatik und auf diesen dreien wiederum die Angewandte Informatik und Realisierungen.
Dass geschichtliche und fachliche Fragen sich nicht nur aus Fachbüchern, sondern auch aus gut recherchierten Spielfilmen und Romanen hervorragend beantworten lassen, zeigen "Fermat's Last Theorem" [3] und "Die Vermessung der Welt" [4]. Wir erstellten einen Zeitstrahl zur Geschichte der Informatik. Dazu lohnt ein Blick in den Zeitstrahl der Universität Oldenburg [5]. Immer wieder Thema in unseren Dialogen sind die Begriffe Gesellschaft, sozialer Kontext, Verantwortung und die drei Arten des Profits: product, people, planet - PPP (siehe auch Abschnitt WAS IST IT-PRODUKTMANAGEMENT? im Workshop 1, Blog vom 01.04.2017).
Gruppendynamik
Natürlich geht unser Formen, Stürmen, Normen, Performen und am Ende jedes Workshops das Adjournen weiter [Tuckman, 6]. Bei den regelmäßigen Betrachtungen aus der Meta-Ebene - "Was läuft hier eigentlich?" sprachen wir über Stresscontainer.
Was passiert, wenn Sie zwei Vorgesetzten, Kollegen, Dozenten, Freunden oder Familienangehörigen verpflichtet sind? Wenn Sie zum Beispiel an zwei Projekten gleichzeitig arbeiten oder sich zwei Lernveranstaltungen überschneiden. Die beiden Vorgesetzten haben meist nicht viel miteinander zu tun, jedenfalls nicht bezüglich Ihres Dilemmas. Vielleicht werden Sie sogar zum Spielball - und damit sitzen Sie im Stresscontainer. Abhilfe?
Richtig: Stellen Sie Kontakt zwischen den beiden her. Greifen Sie zum Äußersten: lassen Sie die Beteiligten direkt miteinander sprechen. Vielleicht taucht Ihr Dilemma ja auch bei anderen auf und Vorgesetzte und Dozenten finden anlässlich Ihres Problems grundsätzlich einen besseren Weg, Projekte und Lernveranstaltungen zu organisieren -- im direkten Dialog.
Woher das Build des Stresscontainers stammt, weiß ich nicht wirklich. Als wir im Workshop darüber sprachen, fiel mir dabei auf jeden Fall ein, wer sehr gute Bücher zum Umgang miteinander in der Arbeitswelt geschrieben hat: Der Arbeitspsychologe Eberhard Ulich, zum Beispiel "Arbeitspsychologie" [7]. Im Artikel "Der menschliche Faktor in SWE-Projekten Welche Potentiale und welche Hindernisse stellt er dar? Wie kann er genutzt werden?" gehe ich näher darauf ein [8].
Das Leben ein Netz ... sozial, mobil, digital
Soziales Netz, mobiles Netz, digitales Netz - Was ist das? Wie hängen sie zusammen? Die Studierenden untersuchten diese Begriffe mittels der 8+1 W und visualisierten sie, indem sie drei Mindmaps zeichneten und diese miteinander verbanden.
Ein Gruppe nahm die soziologische Perspektive ein, die andere die technische. Sehr spannend: Aus der Technik zu starten fiel ihnen leichter. Sehr interessant: Die eine Gruppe setzte mit "mobil" eher die Telefonie gleich, die andere Automotive und Verkehr. Sehr schön: Die Techniker fanden Beispiele für die Verbindungen. Sozial und digital: social media. Digital und Verkehr: Bahn App. Verkehr und Sozial: Mitfahrgelegenheit. Wieder etwas Historisches: In den 1980ern gab es auch schon Mitfahrgelegenheiten. Wir haben sie per Aushang in der Uni oder per Telefon bei der Mitfahrzentrale gefunden. Geht auch. App ist natürlich sehr komfortabel. Willkommen im 21. Jahrhundert.
Wie tickt Sozioinformatik?
Universitäten und Hochschulen haben eine ganz unterschiedliche Kultur. Zum einen geht es um Forschen und Lernen durch Forschen. An den Hochschulen hält dieser Ansatz zwar auch zunehmend Einzug. Furtwangen ist ein sehr schönes Beispiel dafür. Es ist aber eben immer noch etwas anderes. Zumal wenn die eine aus der Forschungs-, Lehr- und Lernkultur einer Universität in den 2000er Jahren kommt und die anderen die Welt der Hochschulen in den 2010er Jahren kennen. Also war es an der Zeit, ein gemeinsames Verständnis herzustellen. Eine typische Aufgabe von Beratern und IT-Produktmanagern [Band 2 Menschen].
Da ich in meinem Vortrag am 23.01.2017 an der Hochschule Fortwangen vorgestellt hatte, wie wir in der Sozioinformatik forschen, entwickeln, lernen und lehren können, und ich auch hier im Workshop immer wieder Bezug auf die Projekte meiner Forschungsgruppe an der RWTH Aachen nehme, war es an der Zeit, dass die Studierenden die ganze Geschichte hören. Also haben wir uns dem Vortrag gewidmet "Konzeption eines Bürgerinformationssystems unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungsanalyse und Evaluation ... am Beispiel eines webbasierten Informationssystems über Krankenhäuser" [9].
Von der industriellen Revolution ...
... über die globale Vernetzung zurück in den Urwald?
Ein weiteres Beispiel für das Lernen über Geschichte ist der Roman "Die Zeitmaschine" von HG Wells [10]. Es gibt zwei Verfilmungen, eine von 1960 [11] und eine jüngere von 2002 [12]. Wir haben folgende Fragen anhand der jüngeren Version untersucht:
- Welche historischen Phasen erkennen Sie?
- Wie sind die Haltung und das Verhalten der Universität, der Kollegen und der Gesellschaft zur Arbeit von Dr. Alexander Hartdegen?
- Wie geht er damit um?
Warum habe ich mich für die jüngere Version entschieden, die im zweiten Teil mit den Morlocks einige Schwächen zeigt? Zum einen wegen des Setting. Dr. Hartdegen lehrt an der Columbia University. Zum anderen, um zu zeigen, dass auch Filme, die vielleicht Schwächen im Auge des Betrachters haben, lehrreich und inspirierend sein können. Wie Seminare, Vorträge, Bücher, Chefs und Kollegen.
Der dritte Grund war für mich der wichtigste: Der Bibliothekar, die semantische, lernende und auf den Fragenden zugeschnitten lernende "Maschine", die ganz am Ende des Films voller Begeisterung - also mit Gefühl - die Kinder der Eloi unterrichtet.
In diesem Dialog kamen wir in unserer meandernden Lernweise auch auf weitere Literatur, Artikel, Filme und Newsletter, die für Sozioinformatiker interessant sein können. Drohnen und Bots an Universitäten [The Guardian vom 04.04.2017, 13], der Film "Her" [14], der Film "Lucy" [15] und der ZEIT Chancen Newsletter [16].
Exploration und Evaluation
[Band 1 Beraten; 2 Menschen; 3 Werkzeuge; 4 Entdecken]
Bevor wir uns der Netzwerkanalyse widmeten, die uns auch weiter in den folgenden Workshops beschäftigen wird, verschafften wir uns einen Überblick über einige empirische Methoden und Großgruppenereignisse, mit denen sich ebenfalls neue Erkenntnisse und Ideen entwickeln lassen.
- Organisationsanalyse, Stakeholderanalyse
- Beobachtungen, Interviews, Walk and Talk
- Großgruppenereignisse (Open Space und Co)
- Delphi-Technik
Empirische Methoden haben die Studierenden im gleichnamigen Modul und im Modul "Grundlagen der Gesellschaftswissenschaften" im dritten Semester ihres Bachelorstudiums IT-Produktmanagement mit der Vertiefung Sozioinformatik erlernt.
Das Leben ein Netz ... Netzwerkanalyse
[Band 2 Menschen und Band 3 Werkzeuge]
Die Netzwerkanalyse ist ein mittlerweile zentrales Werkzeug auch in der Informatik und der Sozioinformatik. Entwickelt in den 1930ern - wieder einmal begegnet mir Jacob Levy Moreno (1889–1974)
mit "Who shall survive" [17] - und zu voller Blüte in den 1950ern in der Ethnologie gelangt. Schnegg und Lang haben eine sehr "Netzwerkanalyse - eine praxisorientierte Einführung" ins Netz
;o) gestellt [18]. Da wir in den folgenden Workshops die hier begonnene Netzwerkanalyse fortsetzen werden, ist dieses Heft der "Methoden der Ethnographie" Pflichtlektüre für die Studierenden.
Wie Medizinstudierende sich erst einmal gegenseitig Blut abnehmen, bevor sie auf die Menschheit losgelassen werden, untersuchen wir erst einmal unsere Gruppe. An ihr lässt sich sehr gut die Unterscheidung zwischen offenem und geschlossenem System deutlich machen. Die Datenmenge ist aufgrund der relativ kleinen Gruppengröße überschaubar und wir können es flexibel halten: wieviel Analyse in offenen Systemen schaffen wir noch im Semesterverlauf -- beispielsweise die Beziehung der Gruppenmitglieder zu anderen in der HFU oder auch in der Stadt Furtwangen.
Fragebogen
[Band 4 Entdecken]
In diesem Workshop 2 entwickelten wir einen Fragebogen. Zuvor vergegenwärtigten wir uns noch einmal die Charakteristika soziodemographischer Daten, angeborener und erworbener Merkmale, die
Verpflichtung vor Beginn eines Forschungsprojekts die Ethikkommission zu unterrichten und ihr Votum abzuwarten, Datenschutz und Privatsphäre und die Anlässe und Gründe für einen eher nachlässigen
Umgang mit eigenen privaten Daten im Netz (Internet, World Wide Web), beispielsweise die Hinterlegung von Geburtsdatum und anderen privaten Daten auf Social Media Plattformen. Das Netz vergisst
nicht.
Ein Netz hat Knoten und Kanten. Im ethnographischen (Völkerkunde) und soziologischen (Gesellschaftskunde) Sinn sind dies Individuen und Beziehungen zwischen den Individuen. Auch Kulturanthropologen nutzen Netzwerkanalysen. Und in die Informatik hat die Netzwerkanalyse mit der Untersuchung zum Beispiel von Blognetzen Einzug gehalten. Dieser Tatsache haben wir die großen Fortschritte in der computergestützten Netzwerkanalyse zu verdanken. In unserer Gruppe werden wir den ersten Schritt mit einfachen Tabellenkalkulationsprogramm machen.
Inneres Team
Das Thema Beruf war der Anlass über unsere Rollen in Netzen nachzudenken. Das Bild des Inneren Teams von Schulz von Thun ist für den Umgang damit hilfreich [19].
Seminararbeiten
Der Meilenstein dieses Workshops war die Entwicklung der Szenarien und einen Projektplans. Der Austausch in der Gruppe bietet den Studierenden die Möglichkeit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den Perspektiven Auftraggeber und Nutzer Fragen zu stellen. Wir werden also in die Rollen Stadtrat, Bürger, Unternehmer, Leser und Nutzer allgemein schlüpfen. Im Workshop 3 sollen Interviews stattfinden und die Studierenden werden über die ersten Ergebnisse ihrer Recherchen und Literaturarbeit berichten.
Aufgaben
- Seminararbeit: Siehe oben
- Portfolio: Mi, 19.04.2015 - 08:00: upload auf FELIX: Meilenstein 1 – Eingangsreflexion
- Lesen: siehe folgender Abschnitt
- P: Di, 11.04.2017 - 20:00: Erstellen der Exceltabelle des Fragebogens und upload auf FELIX
- alle: Mi, 19.04.2015 - 12:00: Einpflegen der Daten des Befragten und Hochladen auf dropbox [CW 15. April 2017: wir schwenken um auf dropbox]
Lesetoff
In Nachbereitung des Workshops (in der Reihenfolge ihrer Erwähnung):
Kontext" und "Soziale Netze". Bachelor-Studiengangs IT-Produktmanagement mit dem
Schwerpunkt Sozioinformatik an der Hochschule Furtwangen (HFU) Sommersemester
2017. - 6./7.4. - Workshop 2: Geschichte und Netzwerkanalyse.
[4] Buck D. Die Vermessung der Welt. Film. Boje Buck Produktion 2012.
[5] Universität Oldenburg. Geschichte der Informatik. Zeitstrahl. http://www.informatik.uni-oldenburg.de/~iug08/histo/CONTENT/zeitstrahl.html
[6] Tuckman B. Developmental sequence in small groups. Psychological Bulletin 1965; 63 (6): 384-99. - PDF. Und: Tuckman BW, Jensen MAC. Stages of small group development revisited. Group and Organizational Studies 1977; 2: 419- 427. - PDF
[7] Ulich E. Arbeitspsychologie. 7 Auflage. Stuttgart, Schäffer-Poeschel 2011.
[8] Weßel C. Der menschliche Faktor in SWE-Projekten. Welche Potentiale und welche Hindernisse stellt er dar? Wie kann er genutzt werden? In: Höhn R, Linssen O. Vorgehensmodelle und Implementierungsfragen. Akquisition - Lokalisierung - Soziale Maßnahmen - Werkzeuge. 16. Workshop der Fachgruppe WI-VM der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI). Aachen, Shaker 2009: 83 - 96. - PDF
[9] Weßel C. Konzeption eines Bürgerinformationssystems unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungsanalyse und Evaluation ... am Beispiel eines webbasierten Informationssystems über Krankenhäuser. Vortrag. Furtwangen, Hochschule Furtwangen, Fakultät für Informatik 23.01.2017 (Blog vom 20.01.2017)
[10] Wells HG. Die Zeitmaschine. Hamburg, Nikol Verlag 2017.
[11] Pal G. The Time Machine. MGM 1960.
[13] Wells S. The Time Machine. Parkes/MacDonald Productions and Arnold Leibovit Entertainment 2002.
[13] Niemtus Z. The automated university: bots and drones amid the dreaming spires. The Guardian 04/04/2017 - https://www.theguardian.com/higher-education-network/2017/apr/04/the-automated-university-bots-and-drones-amid-the-dreaming-spires
[14] Jonze S. Her. Annapurna Pictures, Warner Brothers 2013.
[15] Besson L. Lucy. Universal Pictures 2014.
[16] ZEIT online. ZEIT CHANCEN: Nachrichten aus Hochschule und Scientific Community. -
http://www.zeit.de/chancen/index
[17] Moreno JL. Die Grundlagen der Soziometrie - Wege zur Neuordnung der Gesellschaft. (engl.: Who Shall Survive?: Foundations of Sociometry, Group Psychotherapy, and Sociodrama.) 3. Auflage. Wiesbaden, Springer Fachmedien 1974. - ISBN-13: 978-3531111377 [Das Grundlagenwerk]. - (Blog vom 12.09.2016)
[18] Schnegg M, Lang H. Netzwerkanalyse - Eine praxisorientierte Einführung. METHODEN DER ETHNOGRAPHIE Heft 1. 2002. http://www.methoden-der-ethnographie.de/heft1/Netzwerkanalyse.pdf (Blog vom 24.02.2017)
[19] Schulz von Thun F, Ruppel J, Stratmann R. Miteinander reden. Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. 10. Auflage. Reinbek, Rowohlt 2009.
Zur Vorbereitung des nächsten Workshops - Muss:
- Informatik, der deutsche und der englische Eintrag von Wikipedia (siehe oben)
- Schnegg / Lang 2002 (siehe oben)
- Weßel 2009 (siehe oben)
Christa Weßel - Samstag, 8. April 2017
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