Erste Gedanken und Inspirationen zur Sozioinformatik im Sommer an der HFU
In fünf Wochen starten die Lehr- - oder wie ich sie lieber nenne - Lernveranstaltungen zur Sozioinformatik an der Hochschule Furtwangen. Eine Hörerin meines Vortrages am 23. Januar (Blog vom 20.01.2017) dort hatte ungefähr Folgendes angemerkt: Das ist Stoff für einen ganzen Workshop.
Wenn es doch so einfach wäre. Wenn ich ein neues Seminar vorbereite, wie ich eine Reihe solcher Workshops auch nenne, geht es erst einmal los mit der Verabredung der Termine und einem ersten Lesen und Brainstorming zu den Lernzielen und Themen, die die Hochschule vorsieht. Dann lasse ich das Ganze erst einmal sacken. In diesem Fall gut fünf Wochen. Heute habe ich mich an die erste Skizze gemacht. Lernziele in "meine" Sprache übersetzen und Fragen formulieren, die ich mit den Studierenden im Verlauf dieser zwölf Wochen beantworten möchte. Zweites Brainstorming - auf dem Papier und im Netz - dazu empfehle ich die Lektüre von Michel Serres' "Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation". Ich habe also genau das nicht gemacht, das wir Wissenschaftler und Dozenten von Studierenden in ihren Arbeiten verlangen: eine strukturierte und den Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens folgende Literaturrecherche, sondern ich habe mich einfach treiben lassen und - wie so oft bei dieser Art des das Hirn stürmen lassen - Schätze gefunden.
Sowohl in der Modulbeschreibung als auch in meinen Unterlagen und im Netz stolperte ich über das Wort Netzwerkanalyse und los ging's. Denn wie sollen die Studierenden und ich uns über Sozioinformatik und über - nicht nur digitale - soziale Netze austauschen, ohne zu wissen, wie wir sie untersuchen können?
Dabei habe ich einen guten alten Bekannten wieder getroffen. Leider nicht persönlich bekannt, sondern nur aus meiner Arbeit mit soziologischen Fragestellungen und einem Workshop zum Psychodrama im letzten September (Blog vom 12.09.2016): Jacob Levy Moreno (1889–1974). Er hat in den 1930ern die Netzwerkanalyse zur Untersuchung und Interpretation von Gruppen, sozialen Strukturen und Beziehungen bekannt gemacht - auf einem Medizinischen Kongress.
Zu einem Kollegen meinte ich letzte Woche, wenn ich noch ein Studium dranhänge, dann wird es Kulturanthropologie. Es kann auch gerne Ethnographie werden, denn diese Wissenschaft untersucht seit mehr als hundert Jahren soziale Netze. Hartmut Lang, Prof. em., und Michael Schnegg, Professor an der Universität Hamburg, haben einen sehr guten Einführungstext über die Netzwerkanalyse online gestellt (erst hatte ich "ins Netz gestellt" geschrieben, aber langsam wird das wohl etwas viel mit dem Netz). Genauso werden die Studierenden und ich auch darauf achten müssen, ob wir gerade von sozialen Netzen im allgemeinen oder von digital unterstützten sozialen Netzen sprechen.
Außerdem bin ich über den Blog netzwerkanalyse.org auf die May-June 2010 Ausgabe des Harvard Magazine gestoßen, in der sich Elizabeth Gudrais ausführlich mit historischen, sozialen, kulturellen, naturwissenschaftlichen und auch ökonomischen Aspekten von Netzwerken beschäftigt. Soviel Input sagte Roboter Nummer 5, als er den Buchladen entdeckte ("Nummer 5 lebt!" - US-amerikanischer Spielfilm von 1986). Und ich habe nur ein erstes Brainstorming gemacht. Hier die Fragen, die mir darin eingefallen sind.
Sozioinformatik - "Social informatics is the body of research that examines the design, uses, and consequences of information and communication technologies in ways that take into account their interaction with institutional and cultural contexts." (Rob Kling 2000)
Leitende Frage:
Was macht die Technik mit den Menschen?
Was machen die Menschen mit der Technik?
Was ist ein System?
Was ist ein soziales System?
Was ist ein technisches System?
Was ist ein soziotechnisches System?
Wie entsteht Wirklichkeit?
Wie lernen wir?
Wie entwickeln wir Technik?
Wie beeinflussen uns Systeme?
Wie beeinflussen wir Systeme?
Was ist Informatik?
Was bedeutet Individuum, Gruppe, Organisation, Gesellschaft?
Welche Rolle, Aufgaben und Verantwortung hat Informatik für diese vier?
Was ist das Internet?
Was ist das World Wide Web?
Was sind Internet 1.0, 2.0, 3.0 und 4.0?
Was sind soziale Netze?
Was sind digitale, soziale Netze?
Wie gehen wir mit der Informations- und Kommunikationstechnologie um?
o in der Arbeitswelt?
o im privaten Umfeld?
o im gesellschaftlichen Umfeld?
Was ist eine Dienstleistung und was ist ein Produkt?
Was ist eine Anwendung?
Was ist ein Informations- und Kommunikationssystem?
Worauf müssen wir bei der Entwicklung von Anwendungen achten?
Was ist Usability?
Was sind Datenschutz und Datensicherheit?
Wie können wir beide gewährleisten?
Welche Ziele verfolgen Individuen, Gruppen, Organisationen und Gesellschaft?
Was verstehen Sie unter Product, People, Planet?
Was verstehen Sie unter Verantwortung, Selbstverwirklichung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit?
Wozu können wir soziotechnische Informations- und Kommunikationssysteme verwenden?
Wie haben wir gearbeitet und arbeiten heute und in Zukunft?
Was bedeuten Internationalisierung und Globalisierung?
Wie verändern sich Individuen und Gruppen durch soziale Netze und durch digitale, soziale Netze?
Welche Rollen und Aufgaben hat hierin die Informatik?
Wie entwickeln Sie Dienstleistungen und Produkte in der Zeit des Web 2.0, 3.0 und 4.0?
# Leistungsnachweis "Soziale Netze" - Seminararbeit in Kleingruppen
In der Informatik und anderen Bereichen entwickeln Sie Produkte und Dienstleistungen in den Schritten
Analyse, Design, Implementierung und Evaluation
Setzen Sie dies um für die Entwicklung und Implementierung eines digitalen sozialen Netzwerk eines Unternehmens.
Oder:
Setzen Sie dies um für die Verbreitung und den Verkauf eines Produktes oder einer Dienstleistung.
Nutzen Sie dazu die 8+1 W.
Konzipieren Sie dazu eine Netzwerkanalyse.
Setzen Sie Methoden aus der qualitativen Feldforschung und dem Software-Engineering, einschließlich Agiler Methoden, ein.
Berücksichtigen Sie dabei soziale Bedingungen, die dies beeinflussen. Dazu zählen historische, politische, kulturelle, ökonomische und mediale Bedingungen.
# Leistungsnachweis "Informatik im sozialen Kontext" - Portfolio
Erarbeiten Sie im Verlauf des Semesters ein Portfolio, in dem Sie
a) zu unten [die folgen noch] stehenden Fragen zu definierten Meilensteinen eine Reflexion verfassen,
b) die von Ihnen in den Workshops erstellten Arbeiten (Visualisierungen und andere Aufgaben) zusammenstellen,
c) die von Ihnen im Fach "Soziale Netze" angefertigte Seminararbeit vorstellen: (Mit-)AutorInnen, Titel und Zusammenfassung
und finden eine Kollegin oder einen Kollegen, mit der oder dem Sie als Buddy-Team zusammenarbeiten:
Sie stellen zu definierten Meilensteinen die Reflexionen Ihres Buddies dem Forum vor und tauschen sich dazu mit den anderen Studierenden aus.
Soweit meine ersten Ideen. Wenn Sie Ideen und Fragen dazu haben, melden Sie sich gerne. Input kann ich in den nächsten fünf plus zwölf Wochen gut gebrauchen.
Und hier geht es zu den heute aufgelesenen Quellen, die ich im Verlauf noch ordnen möchte:
.../ressorucen/zu-sozio-informatik/
Christa Weßel - Freitag, 24. Februar 2017
[CW 08 Dec 2021: ein update zu den Fragen und eine Antwort auf "Was ist Sozioinformatik?" in Form einer Definition ist im Blog von heute ...]
Blogrubrik Sozioinformatik