Ein Gestalt Seminar
"Nehmen Sie sich einige Tage frei, wenn Sie aus dem Sommerintensiv kommen, Sie werden es gut gebrauchen können." Eine Ausbildungsleiterin im Frühjahr. - Eine Teilnehmerin am vergangen
Sonntagmittag in der großen Abschlussrunde: "Wenn ich jetzt zu meiner Familie fahre, werde ich daran denken, dass sie nicht aus zehn Tagen intensiver Gestalt-Arbeit kommen. - Ich hoffe, es
gelingt mir."
Aus zehn Tagen mit viel Selbsterfahrung und sehr viel Praxis. Der praktischen Arbeit als Therapeut, als Klient und als Beobachter in den Triaden am Nachmittag. Der Arbeit mit Gruppen und der Erörterung von Theorie der Praxis am Vormittag. Das ganze eingebettet in die alte Kulturlandschaft des
Münsterlandes im Tagungshaus Karneol. Das Haus Karneol ist ein kleines Tagungshaus in
einem alten Bauernhof ungefähr einen Kilometer westlich von Burgsteinfurt.
Wir waren dreizehn TeilnehmerInnen aus dem ersten bis dritten Jahr unserer Gestaltausbildung am Gestalt Institut Frankfurt (GIF) und eine externe, die als Gestalttherapeutin wieder einmal intensiv Gestalt
in einem Fortbildungsseminar erleben und machen wollte. Das hat sie, das haben wir alle. Und wir haben sie umgehend adoptiert. Außerdem zwei Lehrende - oder wie sie in der GIF Sprache heißen -
zwei Leitende. So vielfältig, so bunt, so schön. Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen, von der Umwelttechnikerin über den Physiker, den Philosophen, die Lehrer, die Ökonomin, Ethnologen
bis hin zur Ärztin, Sozialarbeiterin und Krankenschwester - alles dabei. Und dabei sind noch nicht einmal alle Berufe genannt.
Morgens um acht ging es vor dem Frühstück mit einem freiwilligen Angebot los. Chi Gong, Yoga und Arbeit mit Tönen. Habe ich gehört, denn meine Morgenrunde bestand im Schreiben in meinem Zimmer
unterm Dach eines Nebengebäudes, im - wie ich es nannte - schönsten Therapieraum des Hauses. Nach dem Frühstück eine Stunde "Theorie zur Praxis". Statt uns durch Lehrbücher zu ackern, haben die
Leitenden und wir Fragen aus der Praxis heraus gestellt und in der Theoriestunde erörtert. Danach haben jeweils zwei von uns die Gruppenleitung übernommen. Uns war die Aufgabe gestellt, mit der
Gruppe eine Selbsterfahrungsübung durchzuführen, die zum Befinden und Zustand der Gruppe in ihrer Entwicklung - also zur gruppendynamischen Phase - passte.
Mein Kollege und ich haben uns am Tag 4 dazu entschieden, zu schauen, was passiert, wenn wir zwölf Menschen um einen Sitzsack herum laufen lassen. Wette gewonnen: nach dreißig Sekunden ging das
Spiel mit dem Sack los. Dass er auch als Hängematte geeignet ist, damit hatten wir allerdings nicht gerechnet. Im sehr großzügig, parkartig angelegten Garten gab es anschließend Tauziehen mit
einigen Zusätzen.
In anderen Gruppenübungen ging es um Achtsamkeit, Wahrnehmung, Beziehungsaussagen, Wünsche und - am vorletzten Tag in der letzten Gruppenübung um etwas, was im Alltag nicht oft geschieht: Haben
Sie schon einmal einen Zettel bekommen, auf denen Ihnen elf Menschen geschrieben haben, was ihnen an Ihnen gefällt? Kommt auf jeden Fall in meine ganz persönliche Schatzkiste. Zur Gruppenübung
gab es unmittelbar im Anschluss eine interkollegiale Intervision durch die Mitlernenden und eine Supervision durch die Leitenden. Was war gut? Was hat vielleicht gefehlt? Was könnte anders
laufen? Sehr selten die Frage: Was kann besser laufen? In Gestalt gibt es nicht den idealen Weg. Es gibt viele. Natürlich müssen wir das Handwerkszeug beherrschen, wie ausgewogene Moderation
durch beide Leitenden, den Teilnehmenden Raum geben für ihre Arbeit und ihre Rückmeldungen und die Zeit und den Spannungsbogen im Auge behalten.
Nach dieser Supervision haben wir uns in den zu Anfang dieses Sommerintensivseminars Gestalt gebildeten Unterstützungsgruppen zu dritt oder zu viert ausgetauscht. Meist auf einem Spaziergang,
manchmal in den Sonnenstühlen oder auch einfach nur Dart oder Tischtennis spielen.
Die Mittagspause war großzügig bemessen und doch fast zu kurz: es gibt fünfzehn Minuten mit dem Fahrrad vom Haus Karneol entfernt einen Baggersee, der von hohen Bäumen umstanden ist und auf der
West-, der Nord- und der nördlichen Hälfte der Ostseite von einem Schilfgürtel umgeben ist. Der Rest ist Strand. Lang durch hin und zurück ungefähr tausend Meter. Eine ideale Schwimmstrecke bei
sommerlichen Temperaturen in weichem Süßwasser. Schwimmerglück.
Zurück reichte es gerade noch für einen Kaffee und etwas vom hausgebackenen Kuchen - genauso so hervorragend wie die übrige Küche des Hauses Karneol - und, falls die eigene Gruppenleitung
anstand, die Abstimmung mit den Leitenden, ob unser Gruppenübungskonzept stimmig ist.
Die Nachmittage waren den Triaden gewidmet. Vier Durchläufe: zwanzig Minuten Therapiesitzung, anschließend zwanzig Minuten Feedback durch die Beobachter und - sie waren bei ungefähr jeder zweiten
Sitzung dabei - durch die Supervisoren. Die Klienten waren dann schon nicht mehr dabei. Damit war also ihre Pause nicht nur fünf sondern fünfundzwanzig Minuten bis zum nächsten Durchlauf.
Trotzdem: nach vier Durchläufen war ich erst mal durch, einmal als Therapeutin aktiv, einmal als Klientin, ein- oder zweimal als Beobachterin. Spätestens nach dem ersten dieser Nachmittage
wussten wir: das hier ist ein Sommer_Intensiv.
Besonders gut an diesem Triadensetting gefällt mir, dass wir über das ganze Seminar hinweg, also an neun Terminen, in einer konstanten Kombination gearbeitet haben, in einer festen Paarung aus
KlientIn und TherapeutIn. Ich hatte eine ganz hervorragende Therapeutin. Die Arbeit mit meiner Klientin entwickelte sich vor allem deshalb so gut, weil meine Beobachter und vor allem auch meine
Supervisorin mir fundiertes und hilfreiches Feedback zu meiner Arbeit gegeben haben. Wobei ich - nicht ganz mit Absicht - dem Softwareentwicklungsprinzip folgte: "fail fast fail often" und zwar
in einer geschützten Umgebung, dann lernst du am meisten und schadest am wenigsten.
Wir haben nicht zehn Tage von morgens um acht bis abends um acht - nach den Triaden gab es noch ein Plenum - gearbeitet. Wir haben am Donnerstagnachmittag begonnen, hatten am Dienstagnachmittag
frei und sind nach zehn Tagen am Sonntagvormittag das Seminar abgeschlossen. Mit einer großen Schlussrunde, einer Meditation mit Bewegung und dem ganz bewussten Loslassen und Abschiednehmen.
(Bruce Tuckman, einer der Väter der Gruppendynamik, hätte es gefreut.) Denn - wie sagte die Lehrende im Frühjahr: "Nehmen Sie sich einige Tage frei, wenn Sie aus dem Sommerintensiv kommen, Sie
werden es gut gebrauchen können." Bei mir hat es einige Tage gedauert, wieder den ganz "normalen" Alltag anzukommen. Es war schon ein wenig eine Parallelwelt, dieses Seminar.
Ein sehr gutes Seminar ist zu Ende, das genau zum richtigen Zeitpunkt kam, in dem ich sehr viel gelernt habe und das mich unendlich reich beschenkt hat. Die Landschaft, das Anwesen mit seinem
alten Bauernhaus, den Nebengebäuden, dem wunderschönen parkartigen großen Garten, meinem Zimmer unterm Dach in der Remise - oder war es ein umgebauter Pferdestall? Reich beschenkt von den
Menschen, mit denen ich dort war. Den Leitenden und den Mitlernenden. Den Küchenfeen und der Besitzerin des Hauses Karneol.
Christa Weßel - Donnerstag, 28. Juli 2016
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