Samstag, 5. März 2016 10 Uhr. Start des eineinhalbtägigen Workshops "Gestalt in Aktion" und damit Teil der ersten der vier Säulen, aus denen die Ausbildung in Gestalt-Therapie am GIF besteht.
Die vier Säulen: Seminare, Lehrtherapie, Lernen in der Peergroup und Selbststudium. Summe: ungefähr fünfhundert Stunden pro Jahr, alles inklusive - auch das Reisen. Am Samstag konnte ich einfach
nur mit den Fahrrad fahren. Sehr erfrischend.
Auch das Seminar war sehr erfrischend. Während der Hauptteil der Ausbildung als Kurs über drei Jahre mit einer festen Gruppe und zwei Leitenden besteht, gehört "Gestalt in Aktion" zu den
Wahlseminaren. Also haben wir hier die Chance, neue Menschen zu treffen, neue Gestalt-Supervisoren kennenzulernen und ihnen über die Schulter und in die Augen zu schauen.
In "Gestalt in Aktion" ist alles vertreten: von "alles neu" bis hin zu Menschen, die mit ihrer Ausbildung fast fertig sind. Das Ziel des Seminars: Selbsterfahrung. Und für diejenigen, die eine
Ausbildung machen, heißt es außerdem: Geht auch mal in die Vogelperspektive und überlegt, was da eigentlich passiert und wie ihr selbst es machen würdet.
Das Hauptmerkmal, das sich derzeit für mich in Gestalt herausschält ist: Schluss mit der Interpretiererei und hierarchischen Gefällen. Es geht um das miteinander Arbeiten auf Augenhöhe. Der
Therapeut, Berater, Supervisor, Coach - what ever - begleitet den Klienten und arbeitet mit ihm im Hier und Jetzt. Es taucht ein Thema auf, beispielsweise durch eine Übung, und der Klient
bearbeitet dieses Thema.
Es geht um Gefühle und um Bewältigungsstrategien. Die Art, auf die wir früher einmal mit Situationen, Aufgaben, Belastungen oder Problemen umgegangen sind, kann damals sinnvoll und hilfreich
gewesen sein.
Und jetzt nicht mehr.
Die Fragen "Hast du so etwas schon mal erlebt?" oder "Erinnert dich das an etwas?" sind von zentraler Bedeutung. Daran kann sich anschließen: Was hast du gefühlt? Oder: Wie hast du dich
gefühlt?
Nicht dazu gehört: Warum? Das wäre wieder Analyse und Interpretation und es könnte auf ein Festhängen in Gedankenschleifen hinaus laufen. Im Slang sagen Gestalt-Menschen dazu "mind f...ing"
Der Klient geht also in dieses "alte" Gefühl und erarbeitet mit dem Gestalt-Begleiter, was ihn jetzt in solch einer Situation stützen könnte. Das kann eine Person sein, ein Satz, ein Gegenstand.
Dabei geht es mehr um körperliche und fühlende Erfahrung als um Worte.
Damit bin ich bei den drei Aspekten, die mich derzeit in Säule 4 der Ausbildung, in der Lektüre beschäftigen: Kontakt, Grenze und Stütze.
Gestalt lebt vom Ausprobieren, vom Experiment. Das haben wir ausführlich an diesem Wochenende gemacht. Warum dies so viel Sinn macht, hat Laura Pearls in einem ihrer Vorträge und Aufsätze
formuliert:
"Gestalttherapie ist ein existentieller, erfahrungszentrierter und experimenteller Ansatz, der seine Bedeutung von dem erhält, was ist, nicht von dem, was war oder sein
sollte. Keine Interpretation ist notwendig, wenn wir mit dem arbeiten, was in der aktuellen, gegenwärtigen Bewusstheit von Patient und Therapeut verfügbar ist und womit es möglich
ist, durch die ständig zunehmende Bewusstheit zu experimentieren." [1] Die Kursivsetzungen sind auch so im Buch enthalten, also keine Interpretation von mir.
Als ich am Sonntag mit dem Fahrrad wieder nach Hause fuhr, habe ich mich erst einmal eine halbe Stunde unter die Dusche gestellt - statt eines Spaziergangs am Meer. Nachklingen lassen - und auf
das nächste Seminar freuen.
Christa Weßel - Montag, 7. März 2016
[1] Perls L. Some aspects of Gestalt Therapy. Talk. Conference of Mid-Atlantic Group Therapy Association, Washington, D.C., USA, 1972 - Dt. Übersetzung in: Perls L. Leben an der Grenze: Essays
und Anmerkungen zur Gestalt-Therapie. Bearbeitung: Sreckovic M, Bearbeitung und Übersetzung: Fuhr R. 3. Auflage. EHP Edition Humanistische Psychologie 2005: Seite 93.
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