Neulich war ich im Park mit einem Kollegen unterwegs. Wir sprachen über ein großes Unternehmen, das neben seinen alten hierarchischen Strukturen eine zweite neue Organisation aufbaut. Die
Geschäftsführung will mehr Kreativität, mehr Mut und - letztlich - mehr Erfolg. Finanziell.
"Das wäre doch eine Gelegenheit, diese Organisation "neu" zu erfinden." - "Was meinst du damit?" Ich erzählte von "Reinventing Organizations" und meinte "Findest du dann auch im Buch, aber das
dauert noch. Also werde ich - wie die Wertschätzende Erkundung - den derzeitigen Text in meinen Blog stellen."
Frédéric Laloux stellt in "Reinventing Organizations" einen neuen Schritt unserer psychosozialen Evolution vor. Laloux identifiziert fünf Phasen: Stamm (eher: Jäger und Sammler), Landwirtschaft,
Wissenschaft / Industrie, Information und nun der lebende Organismus. Bitte verwechseln Sie dies nicht mit systemischer Sichtweise. Es geht hier um die Metapher des
Lebewesens.
Wenn Sie ein Unternehmen oder andere Organisationen als lebenden Organismus betrachten, erkennen Sie rasch, dass es dort letztlich keine Macht-Hierarchien, sondern natürliche Hierarchien
gibt, und zwar mehrere nebeneinander, die wiederum gemeinsam funktionieren.
So entscheidet nicht allein das Gehirn über Ihre Laune und damit über Ihre Entscheidungen und Handlungen, sondern auch Ihr leerer Magen. Sie können das Zusammenwirken der Teile bis in eine
Körperzelle oder Pflanzenzelle und die Einzeller hinein verfolgen.
Unternehmen und andere Organisationen, die sich selbst als lebende Organismen verstehen, arbeiten mit Selbstorganisation (self-management), Ganzheit (wholeness) und sich entwickelnden Zielen und
Zwecken (evolutionary purpose).
Menschen sind darin nicht gleich, sondern sehr verschieden. Das macht ihre Stärke aus. Es gibt keine Machthierarchien mehr, sondern natürliche Hierarchien. Natürliche Hierarchien
stützen sich auf Expertenwissen und Entscheidungsfindung durch Beratung. Menschen holen Rat ein bei Experten und denen, die die Auswirkung dieser Entscheidung spüren werden.
Dann entscheiden sie.
Dadurch werden auch Mechanismen wie Konkurrenz, Gegner, Vernichtung, Marktbeherrschung unwichtig. Es ist genug Arbeit für alle da. Beispielsweise lässt Jos de Blok seine Mitbewerber gerne an
seinen Erkenntnissen teilhaben. De Blok ist Gründer und Leiter des ambulanten Pflegedienstes Buurtzorg in den Niederlanden. Was passierte in und nach den Vorträgen? Entscheider begannen
umzudenken und einige Mitarbeiter haben sich vielleicht auch überlegt, das Unternehmen zu wechseln.
Das ist der Idealfall. Natürlich ist auch denkbar, dass Entscheidungen und Handlungen aus Instinkten, aus Machtverlangen oder aus Angst entstehen. Auch das zeichnet lebende Organismen aus.
Trotz dieser neu entdeckten - nicht neuen - Art der Arbeit und Zusammenarbeit, werden die alten Formen bestehen bleiben, wie auch Geschichten und Überlieferung, Steintafeln und Bücher, Radio und
Fernsehen und das Internet nebeneinander existieren.
Fünf Metaphern lassen sich zur Beschreibung von Zusammenarbeit in Organisationen heranziehen: Wolfsrudel, Militär, Maschine, Familie und lebender Organismus. Rudel gibt es als Gangs und
paramilitärische Organisationen. Die starke Hierarchie des Militärs zeigt sich in öffentlichen Institutionen, wie Schulen, Behörden und Krankenhäusern und – bei der katholischen
Kirche, die derzeit langlebigste Organisation. Organisationen, die mechanistisch wie Maschinen arbeiten, sind beispielsweise multinationale Unternehmen. Für Familie stehen Organisationen, die auf
Befähigung und Stärkung der Mitarbeiter bauen und sich neben dem Ziel des ökonomischen Profits - oder auch ohne - für soziale und ökologische Belange engagieren.
Mehr finden Sie zu "Reinventing Organizations" im Buch von Frédéric Laloux und seinen anderen Publikationen, beispielsweise in einem bemerkenswerten Vortrag, abrufbar auf Youtube. Das Buch
enthält eine umfangreiche Quellensammlung aus Soziologie, Anthropologie, Philosophie, Organisationsentwicklung und vielen anderen Gebieten.
Christa Weßel - Donnerstag, 12. November 2015
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