Struktur Prozess Ergebnis | Qualität auf der ganzen Linie
Neulich bei der Vorsorgeuntersuchung. Eine Kollegin zu untersuchen, steht nicht immer ganz oben auf der Beliebtheitsskala im Klinik- oder Praxisalltag. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die das hervorragend meistern. Mit einer von ihnen entstand daraus ein sehr interessantes Gespräch über den Sinn und Unsinn von Früherkennungsuntersuchungen und die Fallen, die es darin gibt.
Vorsorgeprogramme
In Deutschland gibt es einige Früherkennungsuntersuchungen. Unbestritten sind die Untersuchungen im Kindes- und Jugendalter. Immer wieder auf dem Prüfstand sind Programme, wie
Prostatauntersuchung, Darmspiegelungen, Hautkrebsscreenings und - besonders beliebt - die Untersuchungen der weiblichen Brust mittels Mammographie alle zwei Jahre ab dem fünfzigsten
Lebensjahr. Prävention ist auch Thema auf dem 117. Deutschen Ärztetag.
Gefragt wird zum Beispiel: Wie viele Frauen retten wir vor dem Tod? Abgewogen werden muss nach den Standards der Evidenz-basierten Medizin (Beweis-basiert), ob Vorsorgeuntersuchungen mehr Nutzen
als Schaden zufügen. In Zeiten knapper Budgets - in meinen Augen eher eine Frage der Verteilung und des guten Managements der Ressourcen - ist ein so aufwändiges Programm ganz oben auf der
Diskussionsliste. Die Frage "Wie viele Frauen retten wir vor dem Tod?" ist vielleicht etwas kurz. Es sollte auch gefragt werden: Wie stark nimmt der Bedarf nach Chemotherapien ab, wenn wir früher
die Befunde erkennen, die Neubildungen also noch klein sind?
Vorsorgeprogramme sind auch deswegen so schwierig in der Abwägung, weil sie (a) medizinisch für die Bevölkerung und die einzelne Person und (b) auch volkswirtschaftlich abgewogen werden müssen.
"Abgewogen werden müssen" - von wem? An der Entscheidung sind medizinische Experten, Statistiker, Berufsverbände und Politiker beteiligt. Diese Entscheidungen sind immer wieder zu treffen.
Vorsorgeuntersuchungen sind immer wieder auf dem Prüfstand, weil sich zwei Dinge fortlaufend verändern:
- Die medizinischen Erkenntnisse: Welche neuen Methoden gibt es? Wie viel nützt etwas, wie viel schadet etwas?
- Die dazu zur Verfügung gestellten Ressourcen: Was können, und was wollen wir dafür ausgeben?
Mit Grenzsituationen umgehen
Zurück zum Gespräch mit der Kollegin. Frauen, die an einem solchen Programm teilnehmen, befinden sich in einer besonderen Situation. Sie sind schon in den Wechseljahren, oder diese beginnen
gerade. Sie müssen die Phase des Kinder bekommen Könnens hinter sich lassen. Loslassen. Und es beginnt die Zeit der bösartigen Neubildungen. Ungefähr ab dem fünfzigsten Lebensjahr steigt bei
Frauen und Männern die Wahrscheinlichkeit stark, an Krebs zu erkranken. Das macht Angst. Angst führt bei einigen Menschen zu extremen Reaktionen.
Wie kann ich als Ärztin oder Arzt damit umgehen? Was kann ich als Radiologe einer Frau sagen, die nach einer Untersuchung mit gutem Ergebnis trotzdem "am Rad dreht" (O-Ton der
Kollegin).
Unterstützung durch Kooperation und Supervision
Wie wäre es mit einer Kooperation mit einer Psychologin? Mit ihr können Ärzte üben, wie sie solche Gespräche führen können. Auf sie können Ärzte ihre Patienten hinweisen: Ein Gespräch mit einer Frau, die diese Situation und die Praxis gut kennt und "Profi der Seele" ist. Die Haus- oder Frauenärzte können entsprechende Überweisungen ausstellen. Es handelt sich schließlich um eine Krisenintervention. (Da ist wieder der Euro.)
Diese Art der Arbeit mit psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeuten hat in der Medizin lange Tradition. Michael Balint hat zusammen mit seiner Frau Enid in den 1940er und 1950er Jahren Supervisionsarbeit für Ärzte entwickelt [07.01.2018: Band 2 Menschen der Buchreihe Elche fangen ...]. Gesprächsführung ist mittlerweile auch Thema im Medizinstudium. Das bewusste Einrichten eines Dreiecks Praxis - Patient - Psychotherapeut wäre ein weiterer Schritt in dieser Kette.
Es funktioniert
Fazit: Einige meiner Annahmen in Bezug auf das deutsche Gesundheitssystem bekamen heute positive Impulse.
- Es gibt Vorsorgeuntersuchungsprogramme, die sich durch eine sehr hohe Struktur- und Prozessqualität auszeichnen. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit einer hohen Ergebnisqualität (Weßel 1999: Behandlungspfade als Qualitätsmanagement-Instrumente). In dem hier geschilderten Fall setzt dies eine hervorragend geführte Praxis um: mit hohen Untersuchungszahlen, sehr gut ausgebildetem ärztlichen und Assistenzpersonal und einem hervorragenden Praxismanagement mit zügig, fundiert und versiert durchgeführten Untersuchungen. Hinzu kommt die hohe soziale Kompetenz der Menschen, die dort arbeiten.
- Ärzte sind offen für und entwickeln Ideen zur ganzheitlichen Betreuung von Patienten auch in diagnostischen Themen, wie den Vorsorgeuntersuchungen.
- Die Bedeutung der Prävention, zu der auch Vorsorgeuntersuchungen gehören, verankert sich zunehmend in den Köpfen von Patienten und Ärzten und - wie zu hoffen ist - auch in den Köpfen derer, die über die Finanzierung (mit)entscheiden.
Wenn Sie wissen möchten, in welcher Praxis ich war, rufen Sie mich an oder schicken mir eine Email ...
Christa Weßel - Dienstag, 27. Mai 2014
Blogrubrik Wandel im Gesundheitswesen
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