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Was kann Organisationsentwicklung

für die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum tun? Nicht viel ohne e-Health ...

..., anders herum: e-Health und Konzepte aus der Organisationsentwicklung können etwas tun.

 

Demographischer Wandel, Ausdünnung der Bevölkerung im ländlichen Raum und Fachkräftemangel auch und gerade im Gesundheitswesen, dies sind die Herausforderungen, denen wir uns schon seit einigen Jahren stellen müssen. Es gibt Lösungen. Organisations-, Institutions- und sogar Ländergrenzen überschreitende Projekte zeigen das. Wie kann aus solchen Projekten Alltag werden?

 

Auf diese Frage antwortete ich in meinem Vortrag am vergangen Freitag an der FH Frankfurt am Main mit weiteren Fragen:


A) Wie können wir Berufe im Gesundheitswesen attraktiver machen?
B) Welche technischen Möglichkeiten gibt es?

 

Die Ausgangslage

Derzeit sind fünfzehn Prozent der Bevölkerung über siebzig Jahre alt. 2030 werden es zwanzig sein. Chronische und Mehrfacherkrankungen nehmen zu. Dabei kann die Lebensqualität hoch bleiben, wenn eine ausreichende Gesundheitsversorgung gegeben ist. Diese besteht zwar auch aus ärztlichen Leistungen, insbesondere aber aus einer guten Pflege.

 

Schwester Anna und der Verbandswechsel:
Eine Pflegekraft versorgt allmorgendlich auf ihrer Runde einen Patienten mit einem Dekubitus. Jede Woche dokumentiert sie den Status der Wunde mittels der Kamera ihres Smartphones. Durch ihre Authentifizierung im System mittels elektronischem Heilberufe-Ausweis und der elektronischen Gesundheitskarte des Patienten wird das Bild mit Zustimmung des Patienten in dessen elektronischer Patientenakte hinterlegt. Der Hausarzt erfährt nur wenige Sekunden nach Upload des Bildes in die Patientenakte vom neuen Wundstatus und kann sich am Praxis-PC das Bild der Wunde ansehen. Da sich die Wundränder stark verfärbt haben sendet er das Bild an eine externe Befundungsstelle. In dieser Stelle befinden sich zertifizierte Wundmanager und Chirurgen, die sich nun die Wunde konsiliarisch betrachten und eine Empfehlung über die Therapie an den Hausarzt zurücksenden. Der Hausarzt beherzigt diese Empfehlung und erstellt ein elektronisches Rezept über die empfohlenen Medikamente, Wundspüllösungen und Verbandsmittel. Die Pflegekraft wiederum wird nun von ihrem Smartphone benachrichtigt, dass ein elektronisches Rezept in die Patientenakte hinterlegt worden ist. Auf dem Weg zum nächsten Patienten hält sie an einer Apotheke an und erhält dort mit der Vorlage ihres Heilberufsausweises die verschriebenen Produkte. Der Apotheken-PC prüft, ob die Pflegekraft berechtigt ist, dieses Rezept einzulösen. Da diese Berechtigung vorher von Hausarzt und Patient erteilt wurde, kann sie nun die Produkte mitnehmen und in der Zentrale des ambulanten Pflegedienstes hinterlegt. Von dort kann eine Pflegekraft der Spätschicht die Produkte beim Patienten vorbeibringen. Währenddessen meldet sich beim Hausarzt ein Mitarbeiter der Krankenversicherung des Patienten. Auf seinem PC hat er eine Mitteilung erhalten, dass der Dekubitus schon länger als 12 Wochen bei seinem Versicherten besteht. Während des Anrufes bespricht er sich mit dem Hausarzt und genehmigt die Verordnung einer Matratzenauflage, die für eine Druckentlastung beim Liegen des Patienten sorgen soll.
[Studierende im Wiki des Seminars "Strategisches Management in Gesundheitseinrichtungen",

Hochschule Fulda 2013]

 

Die Bevölkerung in ländlichen Gebieten, insbesondere in Nordostdeutschland dünnt aus. Die Jungen gehen auf die Suche nach Ausbildung und Arbeit. Es gibt zwar jüngst eine Verlangsamung der Ost-West und der Nord-Süd-Bewegungen, die Distanzen in ländlichen Gegenden sind trotzdem weiterhin lang. Derzeit fehlen einhundertfünfzigtausend Pflegkräfte. Zehntausend Arztstellen sind in deutschen Krankenhäusern nicht besetzt. Die Prognosen über die zukünftige Entwicklung dieser Zahlen sind unsicher, denn es gibt zwei Möglichkeiten diesem entgegen zu wirken: Die Berufe werden attraktiver, und Menschen aus anderen Ländern kommen nach Deutschland.

 

Attraktive Berufe im Gesundheitswesen

Die Versorgung von Patienten ist ein Knochenjob. Heben, Schichtdienst oder gar zwanzig- bis vierundzwanzig-Stunden-Dienste. Hinzu kommen psychische Belastungen. Mangelnde Wertschätzung und das Fehlen von Entscheidungsmöglichkeiten können das Ganze weiter verschlimmern. Dies gilt für alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen, insbesondere jedoch für Pflegekräfte und Ärzte.

 

Anders herum können Wertschätzung, die Möglichkeit eigenständig zu arbeiten, sich persönlich und beruflich zu entwickeln, Verantwortung zu übernehmen und gesunde Arbeitszeiten Berufe sehr viel attraktiver machen, auch die Krankenpflege. Die Bezahlung ist, das zeigen immer wieder Studien, wichtig, aber sie kommt erst nach all diesen anderen Aspekten, wenn es um eine langfristige Bindung an einem Beruf und ein Arbeitsfeld geht.

 

Die schlechte Nachricht: Das "Doctor-Nurse-Game" gibt es immer noch. Es gibt immer noch Arroganz, und zwar in allen Berufsgruppen. Besonders zu bedauern ist, wenn sich diese Arroganz auch auf Patienten erstreckt. Patienten wissen sehr wohl, welche Beschwerden sie haben, und was ihnen gut tut. Wir müssen nur genau hin hören.

 

Die gute Nachricht: Das Bewusstsein um das "Doctor-Nurse-Game" und die Notwendigkeit, dies hinter uns zu lassen, wächst. Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die Akademisierung der nicht-ärztlichen Gesundheitsberufe

Pflegende, Therapeuten (Physio-, Ergo-, Logotherapie etc.) und technische Assistenzberufe (Röntgen, Labor) mit einer akademischen Ausbildung können managen, sektorenübergreifende Aufgaben wie Qualitätsmanagement und innerbetriebliche Fortbildungen übernehmen, forschen und vieles mehr.

 

Attraktiv sein für Menschen aus anderen Ländern

Ein sehr angenehmer Aspekt an der Arbeit in einem Krankenhaus ist in meinen Augen die Vielfalt der Kulturen. Viele Pflegende, Therapeuten, Ärzte und Techniker kommen aus Ost- und Südosteuropa, aus Asien, aus Afrika, um nur einige Beispiele zu nennen. Ohne sie müsste so manches Krankenhaus seine Pforten schließen.


Schön finde ich es, von und mit diesen Menschen zu lernen. Ihre Art "Medizin zu machen" und ihre Kulturen kennen zu lernen. Deutschland hat eine hohe Lebensqualität. Das ist ein Kapital, mit dem wir Menschen in dieses Land holen können.

 

e-Health

Gunther Eysenbachs Beschreibung gefällt mir immer noch am besten. Es geht auch um unsere Einstellung zum Thema.

"e-health is an emerging field in the intersection of medical informatics, public health and business, referring to health services and information delivered or enhanced through the Internet and related technologies. In a broader sense, the term characterizes not only a technical development, but also a state-of-mind, a way of thinking, an attitude, and a commitment for networked, global thinking, to improve health care locally, regionally, and worldwide by using information and communication technology."

 

Die Fürsprecher von eHealth haben sich zunächst vor allem für ländliche Regionen eingesetzt. Kanada und Australien waren auch hier, wie im "traditionellen" Gesundheitswesen und in der Bildung vorreiter: Stichworte "Flying Doctors and Nurses" und "Radioschule". Auch in Deutschland begann die Ausbreitung von e-Health im Norden und im Nordosten. Die Fachhochschule Flensburg und die Universität Greifswald waren und sind wichtige Akteure darin.

 

"Schwester Anna ..."  zeigt, wie vielfältig eHealth ist. eHealth bezieht sich auf Gesundheitsversorgung in all ihren Facetten vom einzelnen Patienten bis hin zu bevölkerungsbezogenen Maßnahmen, wie Impfkampagnen, und auf Lehre und Forschung.

 

Wir alle haben etwas davon und sind daran beteiligt: Medizin, Pflege, Informatik, Ökonomie, Public Health, Versicherungen, Politik, Wissenschaft, Lehre, ..., Patienten, Bevölkerung. Darum ist es keine Frage, ob eHealth teuer ist, sondern wie sehr eHealth Ressourcen schonen kann.

 

Grenzen in den Köpfen überwinden

"Organisationstheoretische Konzept sind ja schön und gut, aber wie kann Gesundheitsversorgung konkret von Organisationsentwicklung und eHealth profitieren?" Diese Frage tauchte im Dialog zu meinem Vortrag am vergangenen Freitag auf.

 

Global denken, lokal handeln. Dies bedeutet, die Beteiligten zu einem konkreten Vorhaben zusammen zu führen. Die "Pfadfinder" im [03.01.2018] Band 1 Beraten der Buchreihe Elche fangen ... zeigen, wie es funktioniert. Es muss einen Anlass und eine Motivation geben. Sie brauchen ein gemeinsames Ziel und gemeinsame Wertvorstellung. Aus dem Ziel leiten Sie die Aufgaben ab.

 

In der alltäglichen Zusammenarbeit sehen Menschen, dass Patienten klug, Pflegende souverän und Ärzte teamfähig sind; dass Ökonomen auch an Patienten denken und Controller lieber gute Kennzahlen und Berichte für die Unternehmenssteuerung liefern als Tupfer zählen. Die Kunst besteht darin, aus Projekten Routine und Alltag werden zu lassen. Dazu brauchen Sie motivierte Menschen mit Ausdauer, die immer wieder für die erforderlichen personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen und Investitionen sorgen.

 

Investitionen im Gesundheitswesen sind unabdingbar. Das Gesundheitswesen ist jedoch keine Belastung sondern ein wichtiger Teil der Wirtschaft. Vier Millionen Beschäftigte und gut elf Prozent des Bruttosozialproduktes zeigen seine Bedeutung. Außerdem haben wir neben der ökonomischen auch eine soziale und eine ökologische Verantwortung: product, people, planet.

 

Von den Entwicklungen im ländlichen Raum können wir für das Gesundheitswesen insgesamt lernen. Frei nach der Herangehensweise in der Entwicklung von Software oder in der Architektur: Barrierefreiheit, eine gute Infrastruktur und hohe Kooperationsfähigkeit kommen ländlichen und dicht besiedelten Regionen und den Menschen darin zu gute.

 

Christa Weßel - Mi, 27. November 2013

 

Quelle [hinzugefügt am 03.01.2018]

  • Eysenbach G. Editorial What is e-health? J Med Internet Res 2001;3(2):e20) doi:10.2196/jmir.3.2.e20 - http://www.jmir.org/2001/2/e20/
  • Weßel C. Organisationstheoretische Perspektiven in Bezug auf die aktuelle Lage der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Vortrag. Fachhochschule Frankfurt am Main, FB4 Soziale Arbeit & Gesundheit 22.11.2013 [What can Organizational Behaviour tell us about the challenges and opportunities for health care in rural regions? Talk. Frankfurt am Main, Germany, University of Applied Sciences 22 Nov 2013] - Presentation (de/en) - pdf 

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