... das Besondere in der IT
Wir haben zwei Ohren, zwei Augen und einen Mund. Was zeichnet gute Kommunikation und Moderation aus? Wie werden Konflikte zur Chance? Was ist das Besondere in der IT und an Menschen, die in diesem Feld arbeiten?
Diese und andere Fragen werden wir im September im Tutorial "Gesprächsführung und Moderation in multidisziplinären IT-Projekten" in Braunschweig auf der Informatik 2012 betrachten.
Worum es geht
Diversity (Vielfalt) drückt sich in Gruppen, Teams und Projekten unter anderem in der Multidisziplinarität der Beteiligten aus. Die Verschiedenheit von Menschen lässt sich teilweise beschreiben durch Merkmale wie Alter, Geschlecht, Familienstand, Nationalität, Herkunft, Bildung, Berufserfahrung, Einkommen und Wohnort. Diversity ist mittlerweile Normalzustand in vielen Arbeitskontexten und verlangt von den Beteiligten Kenntnisse und Fertigkeiten in Kommunikation, Gesprächsführung, Gruppendynamik, Konfliktmanagement und Moderation.
Moderation ermöglicht die kompetente und zielführende Gestaltung von Besprechungen, Teamsitzungen, Seminaren und Workshops. Moderation wird eingesetzt, damit sich die Teilnehmenden auf Ziel und Inhalt ihrer Arbeit konzentrieren können. Die moderierende Person ist in dieser Rolle neutral.
In IT-Projekten gehört zu den Kennzeichen guter Moderation die Fähigkeit, zwischen den Welten und Sprachen der beteiligten Disziplinen Brücken bauen zu können.
IT-Expertinnen und –Experten können multidisziplinäre Zusammenarbeit gestalten, weil sie selbst aus vielfältigen Hintergründen und Ausbildungen kommen. Teil zahlreicher Ausbildungen und Studiengänge sind Gebiete wie Ökonomie, Psychologie, Soziologie oder auch Medizin. Dieses Bewusstsein gilt es auch bei Kunden und Klienten zu fördern. Lebenslanges Lernen ist eine wichtige Unterstützung darin.
Unsere Situation
Das Besondere in IT-Projekten
Informations- und Kommunikationstechnologie sind selbstverständlicher Bestandteil unseres Lebens. Die Informatik und ihre zahlreichen Subdisziplinen sind im Bewusstsein von Unternehmen und Privatpersonen angekommen. Informatik stellt Theorien, Konzepte und vor allem Methoden und Instrumente für (fast) alle Facetten unseres Lebens zur Verfügung. Forschung, Entwicklung und Implementierung sind multidisziplinäre Geschehen. Informatikerinnen und Informatiker werden zu Dolmetschern und Brückenbauern zwischen unterschiedlichen Bereichen. Dazu brauchen sie den Wunsch und die Fähigkeiten, die Sprachen und Kulturen anderer zu verstehen und mit ihnen zusammen zu arbeiten [NN2012].
Vielfalt
Das Ganze ist größer als die Summe seiner Teile. [Aritoteles]
Vielfalt ist mehr als nur die Unterscheidung zwischen Frauen, Männern, jung, alt, Einheimischen, Fremden, Beruf A, Beruf B. Es ist zu unterscheiden zwischen angeborenen und erworbenen Merkmalen. Angeboren sind Alter, Geschlecht, Volkszugehörigkeit, geistige und körperliche Fähigkeiten, sexuelle Orientierung. Wir erwerben im Lauf unseres Lebens Bildung, Einkommen, Religion, Arbeitserfahrung, Sprachkenntnisse, Wohnort, Familienstand [ICTC2008].
Diese Merkmale können wir leicht erkennen. Dagegen liegen Merkmale wie Erfahrung und Werte in der Tiefe und machen nach Edgar Schein einen ganz wesentlichen Anteil unserer Kulturen aus:
"Culture is the learned residue of past experiences and manifests itself at the level of behavioral regularities, expoused values that usually reflect aspirations more than realities, and tacit, shared assumptions that drive daily behavior. … The essence and most stable element of culture is the shared, tacit assumptions." (Schein in [Cu08] S. 50)
Es zeigt sich immer wieder, dass mehr als zwei Kulturen das Klima und somit Effektivität und Effizienz in Projekten und Routinearbeiten stärken können [WSH2007]. Dies gilt für Nationalitäten, Berufe oder Altersgruppen und auch für Erfahrungen und Werte. Für diese ist allerdings die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses wichtig [Sc1985, We2012b]. Die Frage des Stärkeren sollte sich nicht mehr stellen. Vielfalt wird zur Ressource.
Sowohl unter ökonomischen als auch juristischen und sozialen Gesichtspunkten lohnt es sich für ein Unternehmen, Vielfalt aktiv im Diversity Management zu gestalten. Gesetzlich sind wir in Deutschland dazu unter anderem durch das Grundgesetz (GG), das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und das neunte Sozialgesetzbuch zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SBG IX) verpflichtet.
Ökonomisch rechnet es sich, wenn wir in unseren Projektteams die Vielfalt widerspiegeln, die auch unsere Kunden, Nutzer und Klienten haben. Gegenseitiges Verständnis und Akzeptanz vermindern Ressourcenverlust, der durch aufwändige Gespräche und Nachbesserungen auf Grund von Missverständnissen entstehen kann. Schließlich kommt dieses sowohl den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch dem Unternehmen zugute.
In Zeiten des Fachkräftemangels kann gelebte Vielfalt in einem Unternehmen ein entscheidendes Argument werden, dort zu arbeiten. Zu diesem sozialen Aspekt kommt noch ein weiterer gesellschaftlicher hinzu. Ein solches Unternehmen wird sowohl für zahlreiche Privat- als auch für Unternehmenskunden interessant und kann zu einem Vorbild werden. Der kanadische Information and Communications Technology Council beschreibt Diversity Management wie folgt:
"A process intended to create and maintain a positive work environment where the similarities and differences of individuals are valued, so that all can reach their potential and maximize their contributions to an organization’s strategic goals and objectives." [ICTC2008, S 136 (Module XI)]
Zu Maßnahmen und Elementen im Diversity Management zählen Verantwortung und Commitment der Organisationsleitung, Aufmerksamkeit wecken und pflegen, Trainings und kontinuierliches Lernen, Mentoring, Kalender (Feste, Feiertage) und kontinuierliche Kommunikation.
Veränderung
Panta rhei - Alles fließt
Man kann sich nicht nicht verändern. Dies ist angelehnt an Paul Watzlawicks erstes Axiom der Kommunikation Man kann nicht nicht kommunizieren, das uns im weiteren Verlauf erneut begegnen wird [WBJ1969]. In unseren Projekten und Arbeiten mit der Informations- und Kommunikationstechnologie stellt sich wie überall die Frage, ob wir auf Veränderung reagieren oder ob wir Wandel aktiv gestalten wollen.
Wir bewegen uns dabei in komplexen soziotechnischen Systemen, die aus unterschiedlich großen Teilen, aus Menschen und Technik, aus Sichtbarem und Immateriellen und aus vielfältigen Beziehungen und Wechselwirkungen nach außen und innen bestehen. Ein komplexes System ist begrenzt vorhersehbar in seinen (Re)Aktionen und zeigt emergente Ergebnisse. Dies bedeutet, dass Ergebnisse nicht auf die (Re)Aktion eines einzelnen Elementes zurückgeführt werden können und vor allem auf Muster in der Interaktionsdynamik beruhen ([Rüe2004], S. 66f). Damit erübrigt sich unter anderem die Schuldfrage. Es ist nicht der Trainer der Fußballmannschaft oder ein Chief Information Officer (CIO), sondern die Ursachen für Krisen und Erfolge liegen tiefer.
Organisationsentwicklung (OE) und Change Management (CM) sind zwei Ausprägungen der aktiven Gestaltung von Veränderung. OE wurzelt in humanistischen Werten und systemischen Denkweisen, während CM aus der Ökonomie kommt. Beide fragen: Was ist gut? Was wollen wir bewahren? Was wollen wir ändern? Was wollen wir neu machen? CM steht für den radikalen Wandel mit dem Fokus auf Training und Processreengineering. OE untersucht die Schwächen, vor allem aber die Stärken des Klienten und arbeitet mit ihm sowohl an Prozessen als auch an Werten, Zielen, Normen und Entscheidungen [Cu2008, HC2003]. Wir brauchen sowohl die allmähliche, evolutionäre Verbesserung als auch den plötzlichen starken Wechsel.
Veränderung macht auch Angst (anxiety to learn [AS1995]). Wir brauchen also starke Motive, um die Energie entwickeln zu können, mit der wir Veränderung gestalten können. Motive sind Druck, wie ökonomischer und rechtlicher, oder Mangel, bspw. von Fachkräften. Das stärkste nachhaltigste Motiv ist das Streben oder die Sehnsucht nach etwas. Dies könnte für eine IT-Firma heißen: wir wollen die beste, nutzerorientierte Software XY entwickeln und weltweit vertreiben, die auch für Menschen in ärmeren Ländern erschwinglich ist. In diesem Beispiel steckt ein Motiv und eine Vision, die über das Ziel des ökonomischen Profits hinaus ein anderes, hier gesellschaftliches Ziel haben.
All dies begegnet uns täglich in unserer Arbeit. Es ist eine mehr oder weniger laute Hintergrundmelodie. Wie können wir in unseren multidisziplinären IT-Projekten dieses berücksichtigen und effektiv, effizient und für die Beteiligten zufrieden stellend arbeiten? Gute Gesprächsführung und Moderation können dazu beitragen.
Gespräche
Kommunikation: Fakten und Gefühle
Wir kommunizieren über Sprechen, Schweigen, Mimik, Gesten, Kleidung und auch über Gerüche. Menschen sind soziale Wesen. Es geht in ihrem Zusammenleben und damit auch in ihrer Arbeit um Fakten und Gefühle. Ein Eisberg ragt etwa ein Fünftel bis ein Achtel über die Wasseroberfläche. Ähnlich verhält es sich mit den Anteilen unserer Kommunikation. Es geht zu einem geringeren, oftmals vordergründigen Teil um Fakten. Der weitaus größere Anteil bezieht sich auf soziale Geschehen und Gefühle. Dabei geht es unter andrem um Verständigungen oder Missverständnisse zu Ursache und Wirkung eines Geschehens, und um Augenhöhe oder Macht. Paul Watzlawick hat dazu die fünf Axiome der Kommunikation entwickelt [WBJ1969].
Gesprächsführung: Dialog und Diskussion
In der Kommunikation tauschen wir uns nach Schulz von Thun auf vier Ebenen aus [SRS2009]. Sachebene: worüber ich informiere; Selbstkundgabe: was ich von mir selbst offenbare; Beziehungsseite: was ich von dir halte; Appellseite: wozu ich dich veranlassen möchte. In Gesprächen sollten wir unsere Aufmerksamkeit auf alle vier Bereiche lenken.
Wann, wo und wie finden Gespräche statt? Welche Arten von Gesprächen gibt es? Wer ist beteiligt? Welchen Zweck verfolgen sie? In der Arbeitswelt, auch in IT-Projekten gibt es häufig kurze formelle und informelle Kommunikationen unter anderem zum Austausch von Informationen, zur Entscheidungsfindung oder gegenseitigen Unterstützung. Beispiele dafür sind tägliche Kurztreffen (daily stand-up meeting) oder Per Desk Checks. Des Weiteren haben wir Besprechungen und Präsentationen und auch das Plaudern an der Kaffeemaschine oder beim Mittagessen.
Diskussion und Dialog sind zwei Arten von Gesprächen, die grundsätzlich unterschiedliche Ziele verfolgen. Während die Diskussion im Alltag häufig ist, wird der ausdrückliche Dialog seltener gepflegt.
In Diskussionen tauschen wir Informationen und Meinungen aus und wollen eine Entscheidungsfindung oder ein Fazit herbeiführen. Im Dialog erörtern wir Fragen, Probleme, Ideen. Wir wollen den anderen kennen lernen, reflektieren, Neues lernen. Das Ende eines Dialogs ist offen.
Das Prinzip des Dialogs beruht auf den Arbeiten von Sokrates, Buber, Isaacs und vielen anderen (siehe auch [We2012a]). Senge verwendet den Dialog als zentrales Instrument in der Lernenden Organisation [Se2006].
Die Beteiligten sind sich im Klaren darüber, dass es in diesem Gespräch nicht vorrangig um Problemlösungen oder Beschlüsse geht, sondern um Erkenntnisgewinn und Austausch. Einer der Beteiligten kann und sollte dies zu Beginn des Gesprächs deutlich machen, falls hierzu noch kein Konsens oder Bewusstsein zu bestehen scheint. Die Beteiligten sollten als Fertigkeiten mitbringen: aktives Zuhören, Respektieren, Suspendieren (Bewusstsein zu eigenem Wissen und Anschauungen besteht und wird nicht verfestigt), Artikulieren, Authentizität; diese können sie im Verlauf mehrerer Dialoge üben und vertiefen.
Das Umfeld sollte ein ruhiges, möglich ungestörtes Gespräch ermöglichen. Die Dauer kann zwischen einigen Minuten bei im Dialog geübten Menschen bis hin zu mehreren Stunden liegen. Meist sind es ein bis zwei Stunden.
Zu Beginn sollte eine Gruppe unterstützt von einem "Facilitator" (Ermöglicher) den Dialog erlernen. Aufgabe des Facilitators ist es, die Beteiligten dazu zu befähigen, tatsachlich im Dialog zu bleiben, und nicht etwa in eine Diskussion zu wechseln. Eine Diskussion hat zum Ziel, Überzeugungen durchzusetzen und Entscheidungen zu treffen. Der Facilitator kann bspw. sagen: "auch das Gegenteil ist möglich", wenn ein Beteiligter sehr entschieden eine Position vertritt. Oder der Facilitator kann sich mit der Gruppe auf die Meta-Ebene begeben, und die Teilnehmer noch mal auf die Hintergründe, Regeln und Abläufe des Dialogs aufmerksam machen.
Zum Dialog können der Einladende oder der Facilitator oder beide zusammen einen Brief an die Teilnehmer senden, der das Thema, den Anlass, die Hintergründe, Regeln und Abläufe des Dialogs erläutert ([Se2006], S. 220 ff).
Gute Dialoge brauchen also Übung. Wir können aktives Zuhören, Lernen, Empathie und Reflexion üben. Diese Fähigkeiten sind auch für effektive und effiziente Diskussionen von Nutzen. Entscheidungsfindung und Beschlussfassung erfolgen auf der Basis von mit Offenheit, Respekt und Empathie ausgetauschten Informationen.
In IT-Projekten bilden Projektstarts, Meilensteine und Reviews gute Anlässe für Dialoge. Dies stärkt auch die Gruppen und Teams, die dort zusammenarbeiten.
Gruppendynamik: Sach- und Sozialebene, Rollen
"While all teams are groups, not all groups can be considered teams" [Tannenbaum et al. 1992 in [Cu2008] S. 243]. Wie entstehen und entwickeln sich Gruppen? Wann wird aus einer Gruppe ein Team? Wir sprechen sehr schnell in Projekten von Teams. Als Moderatorin, als Teamleiter und auch als Mitglied sollten wir die Unterschiede kennen und in der Lage sein, an der Bildung und Entwicklung eines Teams konstruktiv mitzuwirken.
Gruppen bestehen aus mehr als einem Menschen, manche sagen, aus mehr als zwei Menschen. Gruppen haben ein Ziel, bspw. eine gemeinsame Reise. Die Menschen haben jeweils individuelle Motive, sind von einander abhängig und treten miteinander in Interaktionen. Es entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl. Die Beziehungen sind strukturiert. Es entwickeln sich Rollen, Normen und Regeln.
Menschen in Teams haben gemeinsame Werte. Sie fühlen sich für die Realisierung des gemeinsamen Zieles verantwortlich. Vertrauen, einander ergänzende Fähigkeiten, koordinierte Handlungen und die Bereitschaft zu lernen und sich als Individuum und als Team weiterzuentwickeln sind weitere Merkmale eines Teams [Le2007].
Wenn uns also gelingt, aus Interessen ein gemeinsames Ziel werden zu lassen, wenn Vertrauen und koordinierte Handlungen von Menschen mit einander ergänzenden Fähigkeiten hinzu kommen, dann ist der Übergang von einer Gruppe zu einem Team geschafft. Wir sprechen von Teambildung. Ein Team ist kein Dauerzustand. Das Team und die Menschen darin müssen sich entwickeln können. Diese Teamentwicklung ist Aufgabe von Teamleitung und Projektmanagement. Tabelle 1 listet Merkmale eines guten Teams auf (basierend auf McGregor 1960 in [Cu2008] S. 240, eigene Übersetzung]. Mit dieser Liste können wir auch in unseren Moderationen überprüfen, ob unsere Arbeit auf einem guten Weg ist.
Checkliste "Merkmale eines "guten Teams"
- Atmosphäre: entspannt, angenehm, informell
- Aufgaben: verstanden und akzeptiert
- Aktives Zuhören ("Active Listening")
- Gefühle und Ideen: werden ausgedrückt
- Lösung von Konflikten und Meinungsverschiedenheiten: Aufgaben- nicht Personen-bezogen
- Selbsterkenntnis: gut entwickelt
- Entscheidungsfindungen: Konsens basiert
- Aktivitäten und Aktionen: entwickelt, zugeordnet und akzeptiert von den Teammitgliedern
Für die Arbeit mit Gruppen und Teams hat Bruce Tuckman in den 1960er Jahren ein sehr hilfreiches Modell der Gruppendynamik entwickelt [Tu1965]. Den vier Phasen Forming (Bilden), Storming (Kämpfen), Norming (Regeln), Performing (Umsetzen) fügte er mit seiner Kollegin Mary Ann Jenssen in den 1970er Jahren eine fünfte Phase hinzu, Adjourning, das Loslassen [Tu1977]. In allen fünf Phasen ist die Gruppe sowohl auf der Beziehungsebene als auch auf der Sachebene aktiv.
Gute Moderation unterstützt Gruppen und Teams darin, alle Phasen zu durchlaufen und Sach- und Beziehungsebene zu synchronisieren. Dies schont emotionale und zeitliche Ressourcen und trägt zum Arbeits- und Projekterfolg bei. Tabelle 2 zeigt diese fünf Phasen auf der Sach- und Beziehungsebene und einige Arbeits- und Moderationstechniken, die wir in diesen Phasen einsetzen können.
Tabelle: Gruppendynamische Phasen nach Tuckman und Moderationstechniken
Diese gruppendynamischen Veränderungen ereignen sich im Großen über den gesamten Zeitraum, in dem eine Gruppe oder ein Team existieren. Im Kleinen sind sie auch bei jedem Treffen bemerkbar. Verlässt ein Mensch die Gruppe oder das Team oder kommt ein neuer hinzu, entwickelt sich die Gruppendynamik wieder mit dem Kennenlernen, der Rollenfindung und so weiter. Diese Veränderungen in der Gruppe und im Team sind große Chancen, um Eingefahrenes zu überdenken und Werte, Normen, Ziele und Arbeitsweisen neu zu gestalten. Dies gilt sowohl für die "alten" Mitglieder, als auch für die neuen, die Moderation und die Teamleitung. Wir können und sollten in diese Veränderungen bewusst hinein gehen.
In Gruppen und Teams bilden sich Rollen heraus [Le2007]. Zu Aufgaben orientierten Rollen zählen Initiierende, Recherchierende, Auswertende, Koordinierende, Dokumentierende. In den Sozialrollen gibt es unter anderem Lobende, Vermittelnde, Kontakt nach außen und innen Pflegende, Beobachtende, Folgende. Über die Zeit, also im Verlauf der eigenen Biographie, in verschiedenen Projekten, Jobs und anderen Zusammenhängen kann ein Mensch verschiedene Rollen einnehmen. Ein besonderes Augenmerk müssen wir in der Moderation auf individualistische Rollen legen. Menschen, die angreifen, blockieren, dominieren, ausgrenzen, Vorurteile verbreiten oder auch immerzu Unterstützung und Hilfe suchen, sind eine Gefahr für Gruppen und Teams. In der Moderation müssen wir auf diese Menschen zugehen und mit ihnen diese Gefahr ausräumen.
Störungen und Konflikte: Konfliktmanagement
Ein guter Ansatz, mit Problemen, Dilemmata und Konflikten umzugehen, ist der Grundsatz "Störungen haben Vorrang". Auseinandersetzungen, die in der Stormingphase zur Rollenfindung dazu gehören, können in späteren Phasen das Team sehr stören. Wir kennen die Auseinandersetzung zwischen Teamleitung und Menschen, die eine Leitungsrolle übernehmen wollen, und sprechen dann vom Kampf zweier Alphatiere oder eines Alphatieres gegen eine Leitung, die diese Eigenschaften nicht hat. In der Moderation ist darauf zu achten, der Stormingphase einerseits genügend Raum zu geben, andererseits Auseinandersetzungen nicht eskalieren zu lassen.
Zu einer solchen Prävention tragen die Aufstellung und Vereinbarung von Regeln zu aktivem Zuhören, Respekt und Zuverlässigkeit zu Beginn der Arbeit mit einer Gruppe bei. Hier ist unsere Initiative und Souveränität in der Moderation unbedingt erforderlich. Regelmäßige Reflexionen und Dialoge sind weitere starke Werkzeuge für die Prävention von Störungen und Konflikten.
Treten Störungen und Konflikte auf, ist die Klärung ihrer Ursachen vorrangig. Fragen an die oder den Störenden unter vier Augen und eine Vereinbarung zur weiteren konstruktiven Zusammenarbeit sind der erste Schritt. Sollte dies nicht erfolgreich sein, ist die nächste Stufe ebenfalls wieder unter vier Augen nach erneutem Nachfragen eine Warnung im Sinne einer "gelben Karte" auszusprechen. Dazu müssen wir unsere Befugnisse vor einer Moderation klären. Darf ich Teilnehmende ausschließen? Wie sieht es in Weiterbildungen, in Strategie- und Umsetzungsworkshops, im Projektalltag aus? Kann eine Gruppe den Ausschluss eines Mitgliedes verkraften? Oder könnte die Gruppe gemeinsam überlegen, wie sie mit der Störung umgehen möchte?
Es geht nicht immer friedlich und ideal zu wie in der Checkliste, die ein "gutes Team" beschreibt. Wir neigen dazu, Pannen auszudiskutieren und Konflikte zu vermeiden [Sc2010]. Pannen sind Missgeschicke und Fehlverhalten, die es bspw. mittels Risikomanagement zu vermeiden gilt. Konflikte sind offene oder verdeckte Auseinandersetzungen, in denen es um Werte, Ziele und Interessen geht, also um Dinge, die für Teams zentral sind.
Konflikte sind eine Chance. Wir können Unterschiede erkennen und nutzen, Gemeinsamkeiten erkennen, ein gemeinsames Verständnis herstellen und Veränderungen und Entwicklungen aktiv gestalten. Im Konfliktmanagement analysieren wir mit den Beteiligten den Konflikt und arbeiten an der Lösung. Moderation und Mediation durch Externe sind dafür oftmals unentbehrlich.
Moderation
Rollen und Aufgaben: Fragen zu Neutralität, Expertentum, Hierarchie
Moderatorinnen und Moderatoren sind in ihrer Rolle neutral. Nur dann können wir kompetent und zielführend Besprechungen, Teamsitzungen, Seminare, Workshops etcetera gestalten. Unsere Aufgabe ist es, den Teilnehmenden die Konzentration auf Ziel und Inhalt ihrer Arbeit zu ermöglichen.
Oftmals haben wir außerdem Expertenkenntnisse, oder Projekt- und Teamleitung moderieren Besprechungen und Arbeitssitzungen. Wie können wir für uns selbst und vor allem für die anderen sichtbar machen, wann wir einen Expertenbeitrag leisten und wann wir moderieren? Dies ist mit der Sprache und dem Körper möglich. Zum einen können wir es verbal ankündigen und abschließen: "Ich spreche jetzt als ... ." Zum anderen ist ein Positionswechsel sehr hilfreich. Im Sitzen kann es das Vor- oder Zurücklehnen oder eine andere Haltung der Arme sein. Aufstehen, im Raum den Platz wechseln und Hinsetzen sind weitere Möglichkeiten.
Moderatorinnen und Moderatoren, die in größeren Organisationen intern herangezogen werden, arbeiten manchmal mit in der Hierarchie höher Gestellten. Mittels Neutralität in der Moderation und fachlicher, methodischer und sozialer Souveränität können wir die Zusammenarbeit mit ihnen entspannt und angenehm gestalten.
Kenntnisse & Fertigkeiten: einige Instrument und Methoden
In der Moderation müssen wir Visualisierungs- und Gruppenarbeitstechniken beherrschen. Zu den bekanntesten Visualisierungen zählen Kartenabfrage, Clustering, Mindmap, Punktabfrage, Flipchart-Protokoll, Poster, Ishikawa-Diagramm. Einige Gruppenarbeitstechniken sind bereits im Verlauf erwähnt, bspw. in der Tabelle. Nicolai Andler und Josef W Seifert beschreiben in ihren Büchern umfangreich und anschaulich weitere Instrumente [An2010; Se2007].
Gesprächsführung, Umgang mit Gruppendynamik und Konfliktmanagement sind weitere wichtige Fähigkeiten.
Moderation erfordert eine hohe Reflexionsfähigkeit und emotionale, geistige und körperliche Belastbarkeit. Empathie und Diskretion sind nur zwei Beispiele für hilfreiche soziale Kompetenzen. Lebenslanges Lernen in fachlicher, methodischer und sozialer Hinsicht ist auch für Moderatorinnen und Moderatoren Standard.
Phasen: Vorbereitung, Durchführung, Nachbereitung
Felder der Moderation sind Besprechungen, Teamsitzungen, Seminare, Workshops, Retreats (Klausuren) und Großveranstaltungen wie Open Space und World Café. Die Moderation umfasst drei Phasen: Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung. Je nach Auftrag kann der Umfang der Leistungen unterschiedlich sein. Wir müssen die Erledigung folgender Aufgaben sicherstellen oder selbst durchführen:
- Vorbereitung: Auswahl der Teilnehmer (zusammen mit dem oder allein durch den Auftraggeber); Einladung; Räume; technische Unterstützung; Moderationsmaterial; Catering.
- Durchführung: Zeitmanagement, Gesprächsführung, Förderung der Gruppendynamik, Prävention und - bei Eintritt - Lösung von Störungen und Konflikten.
- Nachbereitung: Dokumentation; diese den Teilnehmenden zur Verfügung stellen (Social Media: Wiki, Blog, Forum), Server (Projekt, Abteilung, Firma) oder – wenn keine der vorhergehenden Möglichkeiten in Frage kommt – Email und in Papierform, falls ausdrücklich vom Auftraggeber oder Teilnehmenden gewünscht; Reflexion mit dem Auftraggeber, falls dieser nicht dabei war; wichtig ist die Beachtung von Vertraulichkeit und Diskretion, zu denen sich Moderatoren und Teilnehmende verpflichtet haben.
Fazit und Ausblick
Kulturen, Werte, Normen gestalten
Die Vielfalt unserer Welt, die sich in der Natur, Kulturen, Technologien und vor allem durch die Menschen selbst ausdrückt, ist eine große Ressource. Veränderungen mögen zunächst einmal etwas Unbequemes sein, bieten jedoch – wie Konflikte – die Möglichkeiten, unsere Arbeitsweisen, Ziele, Normen, Werte und somit unsere Kulturen zu gestalten [Cu2008; ICTC2008; Sc2010].
Das Besondere und Schöne in IT-Projekten: Sozioinformatik
IT-Expertinnen und –Experten können dazu viel beitragen [NN2012]. Die Informatik zeichnet sich dadurch aus, dass sie einerseits aus Grundlagenfächern und andererseits mit zahlreichen Anwendungsgebieten eng zusammen arbeitet. Dies spiegelt sich bereits in den vielfältigen Ausbildungen und Studiengängen wider, die Ökonomie, Psychologie, Soziologie oder auch Medizin in ihren Fächern und Schwerpunkten enthalten.
Im Alltag setzt sich dies fort. Diese Frauen und Männer müssen und können mit Menschen aus unterschiedlichsten Hintergründen zusammenarbeiten und ein verbindendes Element sein. Arbeiten zur Sozioinformatik zeigen, dass dies im Bewusstsein der Informatikgemeinden angekommen ist [Kl2000; RW2011]. Eine spannende Moderationsaufgabe in multidisziplinären IT-Projekten ist, auch bei Kunden, Klienten und Fachexperten dieses Bewusstsein und den Respekt vor der Fachkompetenz von Informatikerinnen und Informatikern zu fördern.
Umsetzung im Alltag
In IT-Projekten arbeiten wir in Forschungs- und Entwicklungsteams, in Produktions- oder Serviceteams. Managementteams unterstützen uns oder wir sind selbst Teil davon. Agile Methoden gewinnen zunehmende Bedeutung [Be2001]. Gute Gesprächsführung und Moderation mit Kenntnissen zur Gruppendynamik und Fertigkeiten im Konfliktmanagement sind wichtige Bausteine in der erfolgreichen Umsetzung von IT-Projekten.
Darum müssen wir uns in unserem lebenslangen Lernen hierin weiter entwickeln. Reflexionsfähigkeit, fachliche, methodische und soziale Kompetenzen und Klarheit zu den eigenen Werten sind für Moderatorinnen und Moderatorin in IT-Projekten wie für Führungskräfte eine gute Basis [We2011].
Christa Weßel - Mi, 01. August 2012
Blogrubriken Organisationsentwicklung und Sozioinformatik