Agilität in konservativen Unternehmen entdecken
In hybriden Projekten verbinden sich agile Denkmuster mit stabilen Projektrahmenstrukturen. Projekte werden - seit Jahrzehnten - schneller, anspruchsvoller und komplexer. Verteilte Teams arbeiten
als virtuelle Teams über Zeit- und geographische Grenzen hinweg. Ressourcenschonung und Steigerung der Qualität - beides sollen diese Teams vollbringen.
Doch was ist mit sogenannten konservativen Unternehmen? Unternehmen, in denen "digital" noch kein Zauberwort ist. In denen Entscheidungen und Umsetzungen Hierarchien folgen und Änderungsprozesse
gefühlt im Zeitlupentempo erfolgen?
Passen agile Herangehensweisen in solche Unternehmen?
Ja. Denn:
These 1: Jedes Unternehmen hat agile und konservative Anteile - die Mischung ist unterschiedlich.
So lautet die erste der Thesen, die ich hier vorstelle und zu denen ich mit Ihnen zum Beispiel auf der PVM 2016 in einen Dialog treten will. Weitere sich daraus entwickelnde Thesen
sind:
These 2: Jedes Unternehmen kann effizient, effektiv und nachhaltig arbeiten - also schnell und solide.
These 3: Dazu sind sowohl konservative als auch agile Anteile erforderlich - sie stärken einander.
These 4: Unternehmen wissen nicht, wie groß welcher Anteil ist - sie wissen (vordergründig) nicht, wie sie "ticken".
These 5: Sie wissen sehr wohl, wie sie "ticken" - es ist nur nicht explizit.
These 6: Mit Kulturanalysen und Wertschätzender Erkundung kann ein Unternehmen herausfinden, wie es "tickt" und wie es seine agilen und auch konservativen Ressourcen stärken
kann.
These 7: Dies versetzt das Unternehmen in die Lage zu entscheiden, ob und wenn ja, wie es einen Kulturwandel einleiten will - "agil" oder "konservativ" oder beides?
These 8: Wenn ein Unternehmen wissen will, wie es "tickt", hat es den ersten und damit wichtigsten Schritt getan. - Professionelle Unterstützung durch Externe macht diese Reise
leichter.
Diese Externen müssen sich in Organisations- und Kulturanalyse und Wertschätzender Erkundung auskennen.
Konservativ - agil
Bevor eine solche Reise an Tempo gewinnt, gilt es erst einmal zu klären: Was ist konservativ? Was ist agil?
Hier eine kleine erste Gegenüberstellung:
In der Notfallmedizin habe ich die Erfahrung gemacht: Konservative sind schneller. Es gibt keine langen Dialoge und Diskussionen. Das kann natürlich auch ganz anders sein. Stichwort: Behörden.
Tarnkappen
Agil kann etwas Aufmüpfiges haben. In jungen und kleinen Unternehmen eher weniger, vor allem wenn sie in sogenannten kreativen Bereichen und im digitalen Umfeld arbeiten. Je größer und älter
Unternehmen werden, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass bürokratische und konservative Strukturen und Prozesse vorherrschen (Laloux).
Craig Larman und Victor Basili berichteten 2003 in ihrem Artikel "Iterative and Incremental Development: A Brief History" unter anderem, wie Softwareentwicklung für die NASA in den 1960er
Jahren dem konservativen Wasserfallmodell folgen sollte - es aber nur vordergründig tat. Die Experten hätten sonst nicht in den erforderlichen kurzen Zyklen immer wieder funktionierende
Software bereitstellen können.
Erinnert Sie das an etwas? Richtig. 2001 entstand das Agile Manifest. Fast vierzig Jahre haben Softwareentwickler mehr oder weniger offen agil gearbeitet. Und sie haben es verstanden, sich in
konservativen Strukturen und Kulturen zu bewegen.
Nachdem es nun fünfzehn Jahre das Agile Manifest gibt, lautet jetzt die Aufgabe: nicht im Verborgenen oder mit großem Hallo und Aufwand "plötzlich" agil zu werden, sondern Veränderung zu
gestalten.
Jede Frage ist eine Intervention
Wie in These 1 aufgeführt, hat jedes Unternehmen agile und konservative Anteile. These 5 nimmt an, dass jedes Unternehmen es unterschwellig weiß.
Das stärkste Mittel, Veränderung auszulösen, ist: Fragen (Lewin). Nachhaltig werden solche Veränderungen, wenn die Beteiligten, also Mitarbeiter und Management eines Unternehmens selbst diese
Fragen stellen - auf Augenhöhe (Cooperrider, Trebien). Denn: Der Klient, also die Menschen vor Ort im Unternehmen kennen die Lösung (Lewin).
Die leitenden Fragen können beispielsweise lauten
Entdecken und stärken
Natürlich ist es denkbar, Experten in ein Unternehmen zu holen, die die Kultur des Unternehmens analysieren, beispielsweise mit der Untersuchung von Geschäftsberichten, Beobachtungen, Interviews
und Workshop. Und die dann der Geschäftsführung einen umfassenden Bericht mit Schlussfolgerungen und Empfehlungen aushändigen.
Das ist übrigens der konservative Weg in der Feldforschung und in der Unternehmensberatung.
Agil wird es, wenn Unternehmen der Philosophie der Augenhöhe folgen und die Mitarbeiter selbst aktiv werden lässt. Dies ist in kurzen Zyklen mit der Wertschätzenden Erkundung möglich. Dabei
entwickelt sich eine hohe Veränderungsenergie.
Wie das funktioniert berichten Cooperrider und viele andere in Büchern, Artikeln und Online. In meinem Blog habe ich unter anderem am 04.08.2015 die Grundlagen erläutert und am 19.02.2016 das
Interview in der Wertschätzenden Erkundung ausführlich beschrieben und einen Leitfaden zur Verfügung gestellt.
Fazit
Die Kombination konservativ-agil ist Alltag. Es gilt sie zu entdecken, zu explizieren und dann bewusst zu gestalten. So können Unternehmen die Schwächen beider Ansätze bewältigen und aus den Stärken beider Nutzen ziehen.
Die Wertschätzende Erkundung mit ihrer Haltung der Offenheit, Neugier und Empathie bietet hierzu einen soliden und nachhaltig wirksamen Ansatz.
Christa Weßel - Dienstag, 3. Mai 2016
[28.01.2018] Da die PVM2016 parallel zum Abschlussworkshop des ersten Jahres der Gestalt-Fortbildung stattfand [Blog vom 12.10.2016] habe ich dieses Thema auf der PVM2017 vorgestellt:
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Weßel C. Vom "kam anders" - Agilität in konservativen Unternehmen entdecken. In: Volland A, Engstler M, Fazal-Baqaie M, Hanser E, Linssen O, Mikusz M (Hg): Projektmanagement und Vorgehensmodelle 2017 - Die Spannung zwischen dem Prozess und den Menschen im Projekt, GI LNI-Proceedings Band 276, Bonn 2017: 71-80 (ISBN: 978-3-88579-670-1, ISSN 1617-5468). - PDF [Blog vom 06.10.2017]
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